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Unser Sabbatical … Ein Fazit

Nun sind wir zurück … seit genau 30.05.2019, denn unsere Reise haben wir früher als geplant beendet. Eigentlich wollten wir Mitte Juli wieder in Deutschland sein, den Juni noch in Marokko verbringen. Doch Ramadan und Marokkos unerträgliche Hitze haben uns nach Spanien auswandern lassen. Zudem werde ich mich um meine Mutter kümmern, die seit ihrer Knie-Operation mehr Unterstützung benötigt. Des Reisens etwas müde geworden, ergibt es mehr Sinn, sich um die Familie zu kümmern. Eine kranke Mutter, ein fünftes Enkelkind, Sehnsucht nach Freundinnen. Der Grenzübertritt von Tanger nach Tarifa beeindruckt mich sehr, denn wir werden freundlich durchgewunken. Kein Stempel, kein Geld, kein Fingerabdruck, keine böse Miene, kein Visum, einfach nichts. Kopfnicken und weiter geht`s. Rolf klärt mich auf „Wir sind in Europa!“ Mir kommen die Tränen.

Während wir mit dem Bus von Algeciras zum Flughafen nach Malaga fahren, um dort einen Mini zu mieten, fällt mir die Lebensfreude der Menschen und die Sauberkeit der Straßen auf. Jeder kann hier tun, was er möchte, egal ob essen, (Bier/Wein) trinken, im Bikini oder oben ohne am Strand liegen, im kurzen Kleid durch die Stadt gehen … das ist Freiheit, die ich lange vermisst habe. Wie glücklich können wir uns schätzen, hier in Europa geboren worden zu sein, besonders als Frau. Ich bin so dankbar für unsere Bildungsmöglichkeiten, unser Gesundheitssystem und für unsere großes soziales Netz aus Familie und Freunden.

Besuch von zu Hause

Ich hätte vorher nicht gedacht, wie wichtig Besuch von zu Hause sein kann. Endlich mal wieder mit vertrauten Menschen quatschen, nicht immer nur Traveller-Gespräche, die sich häufig um die gleichen Themen drehen.

Im Dezember haben wir uns mit Frank auf Palawan/Philippinen getroffen und haben El Nido fluchtartig verlassen. Gemeinsam haben wir eine sehr abgelegene und geheime Bucht auf Palawan gefunden, in Port Barton einen traumhafte Schnorcheltrip gemacht und Franks Drohnen-Fotos schätzen gelernt. Zum Blogbeitrag …

Mit Frank haben wir uns auf Palawan, Philippinen, getroffen. …

Ganz gespannt waren wir Ende Februar auf meine Schwester und meinen Schwager in Kalkutta. Von unserer AirBnB-Wohnung aus erkundeten wir fünf Tage lang die indischste Stadt, die wir bisher erlebt haben. Laut, wuselig, beeindruckend, chaotisch, untouristisch … es folgte der Süden des indischen Subkontinents mit Chennai, Auroville und Goa. Zum Blogbeitrag …

Mit Saskia und Jürgen in Kalkutta, Indien. …

Dass wir die Safaris im Krüger-Nationalpark in Südafrika mit meinem Sohn Alex, seiner Frau Romina und den beiden Kindern Luan und Noomi zusammen erleben konnten, war ebenso ein Highlight und ein riesiges Geschenk. Zum Blogbeitrag …

Mit Alex, Romina, Luan und Noomi im Kruger Nationalpark, Südafrika.

Ohne euch hätte uns wirklich Vieles gefehlt!

Verwirklichung eines Traumes

Jahrelang habe ich davon geträumt, einfach immer weiter reisen zu können. Ein Sabbatjahr bietet nun mal diese unglaubliche Möglichkeit. Ich wäre doch wirklich blöd, wenn ich diese Chance nicht nutzen würde. Also fragte ich Rolf im Winter 2014 „Willst du mit mir ein Jahr lang reisen?“ … “Klar, das machen wir!“ war seine spontane Antwort. Dann habe ich den Antrag gestellt. So eine lange Ansparzeit. Voller Vorfreude und Motivation arbeitete ich auf dieses Ziel hin. Besonders das letzte Jahr vor dem Start war sehr intensiv, da die Reisevorbereitung doch viel Zeit in Anspruch genommen hat. Die letzten Wochen hatten es dann noch mal so richtig in sich. Die Untervermietung entpuppte sich als Hürdenlauf, die große Abschiedsfeier erforderte alle Energiereserven.

Nach … Tagen, als wir in Marokko unsere Rückkehr beschließen, kann ich es kaum glauben, dass unsere Reise nun zu Ende gehen wird. Mit feuchten Augen denke ich an all die Erlebnisse und nehme Abschied von diesem Traum, der nun zu Ende geht. Ich nehme auch Abschied von unserer Zweisamkeit und trauere ihr nach. Bin glücklich, dass wir sie erleben konnten.

Veränderungen

Unsere Reise hat unser ökologisches Bewusstsein noch stärker in den Mittelpunkt gerückt. Der Anblicke der Müllberge in Kathmandu, Kalkutta o.Ä. , an den Stränden Balis, in den Korallenriffen auf den Togian Islands und auch die gerodeten Urwälder (Palmöl) ist kaum auszuhalten. Möglichst kein Plastik mehr, ist die Devise! Kein Obst mehr in Tüten oder Schalen, keine Plastiktüte, kein Joghurt im Plastikbecher… Dass es nicht einfach ist, versteht sich von selbst. Ohne Auto sind wir sowieso mehr mit dem Rad unterwegs. Und Fliegen macht jetzt mal eine lange  Pause.

Highlights

Wir werden immer wieder nach den Highlights dieser Reise gefragt. Vietnam hat uns sehr in den Bann gezogen. Das außergewöhnliche Essen, Hanoi und die Landschaft in der Halong-Bucht, die Motorradtour im Norden Vietnams … das waren wirkliche Highlights. Auch die Abgeschiedenheit auf Kei Island/ Molukken, das Taj Mahal, die Thar-Wüste in Rajasthan, das Annapurna-Gebirge, ist , die alternative Lebensweise in Auroville, das geschäftige Kalkutta, das spirituelle Varanasi, die wundervollen Korallenriffe in Raja Ampat, die Löwen in Südafrika … doch das Beste am Reisen sind die Begegnungen mit Menschen:

  • die Familie auf Flores mit fünf Kindern, die wir mit kleinen Geschenken für die Kinder überrascht haben,
  • die Freude der Menschen auf Lombok nach dem Erbeben, als wir Reis, Decken und vieles mehr in die Dörfer gebracht haben,
  • die Menschen auf Kei Island und Raja Ampat, die noch so ursprünglich leben und uns Einblick in ihre Kultur gewährt haben,
  • die Bootsmänner auf Kei Island und Raja Ampat, die uns geduldig von Insel zu Insel gebracht und uns die besten Korallenriffe und Strände gezeigt haben,
  • die Crew von Tao Philippines, die sich rührend um ums und insbesondere um Rolfs Verletzung gekümmert hat,
  • unsere Guides in Nepal, die uns Schritt für Schritt unterstützt haben,
  • die Familie Gurung in Nepal, die uns ihr neues Haus gezeigt hat, dass sie u. a. von den Spendengeldern bauen konnte,
  • das Wiedersehen mit Lata, die sich um alleinerziehende Frauen mit Behinderung kümmert,
  • die Begegnung mit Elsa in der Sapana Village School in Chitwan/Nepal,
  • unser Fahrer Mahendra in Rajasthan, der uns zwei Wochen lang sein Rajasthan gezeigt hat,
  • unser Yoga-Lehrer Amogh am Agonda Beach, der uns unzählige Asanas gezeigt und mit uns geschwitzt hat,
  • der Besitzer vom „Sea-Star“ am Patnem Beach, der uns einen zweiten Ventilator gebracht hat,
  • die Fahrrad-Guides in Soweto, die uns ihr Soweto mit großer Hingabe gezeigt haben,
  • die Ranger im Krüger Nationalpark, die unentwegt versucht haben, den Leoparden ausfindig zu machen…

Sie alle haben uns eine andere Welt gezeigt, ihre Heimat, ihre Familie, ihre Kultur, ihr Essen, ihre Gewohnheiten, ihre Menschlichkeit und ihre Bedürfnisse. Wir sind dankbar für all diese Begegnungen. Sie alle sind gut und liebenswürdig. Wir wurden überall mit offenen Armen empfangen.

Mit zwei Rucksäcken fast ein ganzes Jahr unterwegs.

Varanasi – Begegnung mit einer anderen Welt

Meine Idee, Rolf den Einstieg in Indien in der spirituellsten und heiligsten Stadt des Hinduismus so sanft wie möglich zu machen, verläuft doch anders als gedacht. Rolf hatte im Vorfeld gehörigen Respekt vor Indien. Vielleicht auch eine Mischung aus Angst und Neugier. Indien mit Varanasi zu beginnen ist die Feuertaufe. Wer das übersteht, den kann nichts mehr schocken. Horror oder Highlight. Wir werden sehen. Ich weiß noch nicht, wie er auf den Anblick brennender Leichen in aller Öffentlichkeit reagiert. 

Als Einstieg eine abendliche Bootsfahrt auf dem Ganges

Unser Fahrer entschuldig sich kurz für seine Verspätung am Flughafen mit „Crazy traffic in Varanasi“. Wir glauben es ihm sofort, als wir eintauchen in dieses Gewirr aus Rikschafahrern, LKWs,  Tuktuks, Kühen und weiteren Gefährten. Auf seiner Betelnuss kauend ist die Aussprache unserer Fahrers ungefähr so, wie wenn wir mit dem Wattebausch vom Zahnarzt im Mund versuchen zu sprechen. Am Straßenrand reihen sich Behausungen aus Planen aneinander. Dazwischen laufen schmutzige Kinder, Kühe, Schweine und Ziegen. Unfassbar wie und wo Menschen leben können. Wir wissen gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollen. Das Gehupe dröhnt unentwegt. Klugerweise hat das Hotel East View einen Bootsservice organisiert, so dass wir das letzte Stück durch das Altstadt-Labyrinth auf dem Ganges mit ein paar Franzosen, die bereits etwas ängstlich dreinschauend im Boot sitzen, umgehen. 

Was für ein Service! Mal gleich zum Sonnenuntergang eine Bootstour auf dem heiligen Ganges! 

„Hotel East View is situated on SCINDIA GHAT. This ghat was built by the MAHARAJA SCINDIA. One of the cleanest and beautiful ghat, amongst all ghats in Varanasi.“ (Homepage des Hotels)

Als wir die Treppen des Ghats zum Hotel hochsteigen, umgibt uns ein extrem beißender Urin-Geruch. Willkommen Varanasi… Hm, so riecht es hier also an den Ghats! Ein langer Tag liegt hinter uns. Erschöpft betreten wir das Zimmer, das mal wieder wie so oft, nicht den Bilder auf der Buchungsplattform entspricht. Ohne Fenster? Sieht aus wie im Keller. Das soll eine Suite sein? Für über 70€ pro Nacht? Hier soll unser Ruhepol sein? Oh shit! Der Manager erklärt uns „Give me 12 hours, than you can change!“ Okay, Indien, du hast noch ein paar Chancen! Das Restaurant auf dem Dach bietet uns für den Abend ein scharfes Essen. Sogar Bier gibt es auf Nachfrage. Strong Kingfisher… hat mehr Alkohol und wirkt! Auf der Karte darf es nie stehen und taucht auf keiner Rechnung auf. Wieder was gelernt. Der Umzug in die Suite in der dritten Etage bietet einen wunderbare Aussicht auf die Ghats samt Ganges, besonders morgens, wenn der Frühnebel die mystische Atmosphäre verstärkt. Auch hier ist das angepriesene Wifi zu schwach und die Minibar leer. Dass das Frühstück für über 70€ nicht inklusive ist, erfahren wir erst am letzten Tag. Wir ärgern uns, dass wir dieses Hotel gebucht haben. Entspricht eigentlich so garnicht unserem Budget.

Für gläubige Hindus ist eine Pilgerfahrt nach Varanasi am heiligen Ganges ein Muss, um im heiligen Wasser des Ganges zu baden und den „Goldenen Tempel“ Kashi Vishwanath, der dem Hindu-Gott Shiva gewidmet ist, zu besuchen. Infolgedessen reisen Hindus aus der ganzen Welt nach Varanasi, insbesondere, wenn sie krank sind oder im Sterben liegen. Die spirituelle Hauptstadt Indiens ist bekannt für ihre Bestattungsrituale am Manikarnika Ghat. So wollen auch wir uns ein Bild von den Ghats machen. Wegen der vielen Kacki, Pipi und Spucki lasse ich meine Trekkingschuhe besser an. Rolf hat da mit seinen Flipflops weniger Berührungsängste.

Doch vorher erwartet uns noch eine andere Hürde: die SIM-Karte. In keinem anderen Land auf unserer bisherigen Reise haben wir es so kompliziert erlebt. Erforderlich sind zwei Passbilder, Reisepässe, eine Buchungsbestätigung vom Hotel, eine Referenznummer aus Indien, Formulare und eine hilfsbereite Inderin im Vodafone Shop, der – wie sollte es anders sein – eine 30minütige Tuktukfahrt  durch Varanasis Chaos erfordert. Selbstverständlich kann die Karte nicht direkt aktiviert werden. Das dauerte so zwischen 24 Stunden und drei Tagen. Und morgen ist auch noch Sonntag! Frühestens am Montag sollen wir noch beim Provider anrufen, Fragen beantworten, damit sie verifiziert werden kann! Was ein Prozedere! Anschließend sind wir reif für eine Ruhepause in Marks Café. Nervlich wieder gestärkt treten wir den Weg über die Ghats an, beginnend mit dem Assi Ghat. 

Die Ghats – farbenfroh, gespenstisch und heilig

Die über 80 Ghats – Badetreppen – ziehen sich über 5 km am Südufer des Ganges entlang. Hier spielt sich das spirituelle Leben ab. Die Ghats prägen diese Stadt. Sie werden eingerahmt von prächtigen alten Kaufmannshäusern und Villen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Dass Varanasi (11. Jh. v. Chr.) zu den ältesten Städten auf dieser Erde  gehört, wusste ich vorher auch nicht. Auf Dreitausend Jahre Geschichte kann diese Stadt zurückblicken. Die Altstadt ist so richtig alt. Mittelalterlich alt. In ihr spürt man, wie die Menschen früher gelebt haben, als es noch keine Fahrzeuge gab.

„Benaras is older than history, older than tradition, older even than legend and looks twice as old as all of them put together.“

Mark Twain

An den Bade-Ghats wirkt es am Sonntag wie bei einem Familienausflug. Kinder, Omas und Opas, Mütter und Väter… alle waschen sich im Ganges und opfern am Abend Girlanden und schwimmende Kerzen. Für uns ist ein Bad im Ganges angesichts der Verschmutzung so unvorstellbar wie die Besteigung des Mount Everests. Die Anzahl der Coli-Bakterien übersteigt das 100fache des Grenzwertes. Doch das Ganges-Wasser ist den Hindus so heilig, dass sie es in Kanistern mitnehmen, es trinken und ihr obligatorisches Bad darin nehmen, um sich von ihren Sünden rein zu waschen. 

Die bunten Saris, die auf die Stufen zum Trocknen liegen, bilden ein fantastisches Farbspiel. Wohl bemerkt, gewaschen werden sie in dem schmutzigen Wasser des Ganges. 

Die Verbrennungs-Ghats

Für die Verbrennung von Leichen gibt es zwei Ghats, das Marnikarnika Ghat und das Harishchandra Gaht. Wird ein gläubiger Hindu hier verbrannt, kann er von dem Kreislauf der Wiedergeburt (Moksha) erlöst werden. Folglich strömen sterbebereite Hindus nach Varanasi und warten hier auf ihren Tod. Ihre Familien folgen hinterher, wenn es soweit ist. Ein Leichenverbrenner zeigt uns, wo wir uns aufhalten dürfen, um die Familienangehörigen nicht zu stören.  Wir schauen auf das Totenfeuer. Der Körper liegt auf dem Scheiterhaufen und brennt. Asche fliegt herum. Das passiert hier jeden Tag an 365 Tagen im Jahr. „Das ist mein Beruf. Schon in der 7.Generation. Ein trauriger Beruf …“ fährt er fort. 

Sandelholz für die Verbrennungen

Drei bis vier Stunden dauert die Verbrennung einer Leiche, wofür ca. 350 kg Sandelholz benötigt werden. Das kostet die Familie ca. 7000 Rupien. Wenn Familien arm sind, können sie für 1000 Rupien den Leichnam im Krematorium verbrennen lassen. Auf einer Bambusbahre wird der in orangefarbenen Tüchern gewickelte Leichnam zum Fluss getragen. Dort werden ihm die Füße mit dem heiligen Wasser gewaschen. Fünf Mal bekommt er Ganges-Wasser in den Mund gefüllt. Der älteste Sohn umrundet den Leichnam auf dem Scheiterhaufen und zündet ihn an. Bevor die Asche an Mama Ganga übergeben wird, wird noch Zahngold und andere Edelmetalle herausgesiebt, um damit ggf. das Holz zu bezahlen. Ich schaue in die Gesichter der Angehörigen, sehe jedoch niemanden weinen. Sie stehen still am Geländer und schauen andächtig zur Verbrennungsstelle. 

Die heiligen Kühe und Ziegen laufen weiter ihrer Wege, machen hier und da ihre Häufchen. Kinder lachen und lassen kleine Drachen hoch in die Luft steigen. Andere spielen Cricket. 

Am Marnikarnika Ghat sind die Rauchwolken allgegenwärtig. Hier gibt es wesentlich mehr Verbrennungsstellen. Vom Boot aus sieht es gespenstisch aus. Die verfallenen Gebäude, die Stapel von Holz, die überall zum Verkauf dargeboten werden, die Leichen in orangefarbenen Tüchern auf den Verbrennungsstätten, die blumenfressenden Kühe, die spielenden Kinder, Asche in der Luft …alles nah beisammen und so normal. Sterben ist hier öffentlich. 

Während ich dem Karma-Gedanken gegenüber sehr positiv eingestellt bin, kann ich der Idee der Wiedergeburt nicht ganz folgen. Als ein anderer Mensch wieder geboren zu werden oder gar als Tier oder Pflanze ist mir fremd. Die Kastenzugehörigkeit bereitet mir mehr Probleme, denn Armut, Behinderung oder Krankheit werden dadurch gerechtfertigt.

Aussteiger Fake-Sadhus

Die Sadhus, die entweder in Rot-Orange oder halbnackt in der Nähe von Tempeln in der gleichen Pose sitzen, geben Rolf Rätsel auf. Losgelöst von der materiellen Welt, leben sie völlig asketisch der Erleuchtung entgegen. Mit entrücktem Blick sitzen einige Sadhus in ihren selbst gebauten Zelten, reiben ihren Körper mit der Asche der Totenfeuer ein und rauchen Ganja (Marihuana), um besser meditieren zu können. Vermutlich hilft es auch dabei, den ganzen Tag in der gleiche Position zu verharren. Sie bekommen milde Gaben von den Gläubigen. Wenn du sie fotografieren möchtest, wollen sie Geld von dir (500 IR/6€). Komisch, oder? Wo sie doch alle weltlichen Besitztümer aufgegeben haben. Alles klar, das sind keine echten Sadhus, das sind Fake-Sadhus. Die Echten leben isoliert  in einer Höhle in den Bergen. Da sie einfach gute Portätsfotos hergeben, schleiche ich mit meinem Teleobjektiv um sie herum und erhasche das ein oder andere Porträt.

Ab von allem Weltlichen – is klar …

Die Aarti Zeremonie zur Ehrung von Mutter Ganga

Zur Zeremonie Ganga-Aarti am Dashaswamedh Ghat fahren wir zum Sonnenuntergang mit dem Ruderboot. An den Ghats entlang zu fahren hat etwas mystisches. Wir zünden Schwimmkerzen für meine Papa und Rolfs Mutti an, übergeben sie an Mutter Ganga.

Am Manikarnika Ghat drängen sich die Boote voll mit Touristen. Dass die Leichenverbrennung so zur Touristenattraktion wird, wusste ich auch nicht. Am Ghat reihen sich schon unzählige Boote vor das Ufer. Die Treppen am Ghat sind komplett mit Menschen ausgefüllt. Alle wollen sie an der Zeremonie teilnehmen. Sieben Brahmanen leiten durch die Zeremonie. Während sie Mantras singen, werden Feuerstäbe und Rauchgefäße im Rhythmus dazu bewegt. Als ich sehe, wie unser Bootsmann mit der Hand etwas holy water zum Mund führt und trinkt, verschlägt es mir die Sprache.

 Wir müssten doch sofort vom Arzt behandelt werden. Das Wasser ist nicht nur schmutzig, es ist voller Coli-Bakterien, deren Anzahl den Richtwert bis zu 3000fach übersteigen. Ob Narendra Modis „Clean India“-Kampagne Wirkung zeigen wird? 

Rolf bleibt am Bug, um besser fotografieren zu können. Da ich einen Horror davor habe, in den Ganges zu fallen, bleibe ich besser hinten auf der Bank sitzen. Die Atmosphäre hier ist unbeschreiblich. Wie andächtig die Menschen dieser Zeremonie beiwohnen, beten, singen, inne halten.

Um unseren Sinne eine Pause zu gönnen, verkriechen wir uns an einem Nachmittag im Aadha-Aadha-Café, das hoch oben auf einer Dachterrasse köstliches Essen bietet. Die französische Besitzerin verwöhnt uns mit guten Service, einer sauberen Toilette und einer französisch-indischen Küche mit Lassi und Käsekuchen. 

Chaos am Shiva-Day

Vom Shiva-Day und vom Mahashivaratri-Festival haben wir noch nie etwas gehört. Dass unser letzter Tag genau deswegen extrem anstrengend werden würde, ahnen wir noch nicht. Nach einem eher ruhigen Vormittag im Aardhi-Aardhi-Café beginnt das Chaos bei der Suche nach einem ATM. Durch das Gassen-Labyrinth gelangen wir ja noch zur Straße, doch dort trauen wir unseren Augen nicht. Tausende Inder stehen in einer mit Holzbohlen abgesperrten Reihe in der Sonne und warten. Nur auf was? Keine Autos und keine Tuktuks. Trotzdem ist alles voller Inder und Kühe. Voller geht’s kaum noch. Im Slalom wurschteln wir uns durch, stellen uns in die Schlange am ATM. Um uns herum tobt das Chaos. Einige Polizisten versuchen hier für Ordnung zu sorgen. Wir verstehen nur, dass heute Shiva-Day ist. 

Am Tag von Mahashivaratri, dem Hauptzentrum für religiöse Aktivitäten und Verehrung in Varanasi, ist der Kashi Vishvanath-Tempel, in dem sich die Anhänger in großer Zahl drängen, um der dort lebenden Gottheit von Varanasi, Lord Shiva, Gebete zu bringen. (https://www.varanasicity.com/mahashivaratri.html

Weiter geht’s, an den langen Schlangen vorbei Richtung Hotel. Rolf navigiert in der höchsten Stufe! Wie sollen wir denn bloß zum Bahnhof kommen, wenn hier alles abgesperrt ist?

Mit dem Boot über den Ganges oder zu Fuß mit Rucksack zur Straße und weiter mit dem Tuktuk? Die zweite Variante wird’s. Nur noch raus aus diesem Chaos! Jeder Meter zählt! Kriechend kommen wir voran. Hupen, Hupen, Hupen … wir können nicht mehr! Mein Rücken schmerzt. Ich habe gelernt, hier ganz klar und deutlich zu formulieren, was ich möchte, sonst bist du hier verloren. So auch jetzt: „You stop at the Vodafone Shop and wait!“ Unsere SIM-Karten müssen noch freigeschaltet werden … endlich, die freundliche Inderin schafft es! Auf zum Bahnhof ins nächste Abenteuer … der Nachtzug nach Agra! Großes Kompliment an Rolf, der Varanasi mit Bravour gemeistert hat.