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Von Auroville nach Agonda / Goa

Ob das Gepäck wohl in das Auto passt? Immerhin haben Saskia und Jürgen neben zwei größeren Rollkoffern auch jede Menge Handgepäck dabei. Saskia ist die Königin in Handgebäck-Aufgeben. Ihr macht da echt keiner was vor. Ist die Gewichtsgrenze fürs Hauptgepäck auf 15 kg limitiert, packt sie kurzerhand um in ihren in Rishikesh gekauften kleinen Rollkoffer. Dieser überschreitet gemeinsam mit dem restlichen Handgepäck das zulässige Gewicht von 7 kg bei weitem. Aber was soll’s? Sie wird am Flughafen von Chennai den Typen von SpiceJet schon was erzählen. Und tatsächlich, ihr Handgepäck wollen sie so nicht akzeptieren. Ohne Wenn und Aber gibt sie es einfach zusätzlich auf. 

Geschafft! Während unser Fahrer wie auch immer zwei große Rucksäcke plus die Rollkoffer verstaut, quetschen wir uns zu Dritt auf die enge Rückbank. Der große Jürgen sitzt vorne und unterhält sich die nächsten Stunden angeregt mit unserem Fahrer. Dieser scheut nicht davor zurück, uns alle auf unserer Route in ein Dosa-Restaurant einzuladen! Wie wunderbar! Am Flughafen angekommen verabschieden wir uns herzlich und vertreiben uns die lange Wartezeit bis zum Check-In, denn von Chennai nach Goa haben wir um 1 Uhr einen Nachtflug. In einem Irish-Pub verfallen wir der Bierlust, die uns teuer zu stehen kommt. Typisch Flughafen! 

Kurz vor Sonnenaufgang landen wir auf dem Dabolim Airport in Goa, der sich mitten in einer Modernisierungskur zu befinden scheint. Neue Gepäckbänder, Sitzreihen und Böden. Sogar Cafés und Restaurants bieten dem übermüdeten Gast Snacks und Kaffee an. Mit dem Prepaid-Taxi fahren wir für 1800 IR durch die Morgenröte nach Agonda, wo Saskia das Romya Guesthouse gebucht hat. Langsam aber sicher erwacht das Leben auf der Straße und in den Häusern. Es wird immer grüner und tropischer bis wir nach einer guten Stunde Agonda erreichen. Ich kann mich gut an die kleine Hauptstraße erinnern, die von vielen Souvenir-Shops gesäumt ist. Teiten, der Besitzer, begrüßt Saskia mit einem breiten Lächeln. Unsere Zimmer liegen auf der ersten Etage mit einer großen gemeinschaftlichen Terrasse. Wir entscheiden uns für das Zimmer mit Küche und Kühlschrank, Saskia und Jürgen nehmen das Zimmer mit Klimaanlage – wie sich später herausstellt – eine kluge Entscheidung. 

Agonda Beach – unsere erste Station in Goa

Als ich abends am Strand entlanglaufe, überkommen mich Freudentränen, wieder hier zu sein, ich kann es nicht fassen, wie schön es hier ist. Endlich wieder am Meer. Freue mich auf die Pause vom Reisen, auf einen ritualisierten Tagesablauf mit Joggen und Yoga. Ich treffe Rolf am Strand, umarme ihn und weine vor Glück. Zum Sonnenuntergang gehen wir ins Madhu, genießen ein Kingfisher und essen hier zu Abend. Der Kellner präsentiert mir die fangfrischen Fische und ich wähle mal den dicken Kingfisher aus. Dass er dann doch teuer wird, weiß ich noch nicht (1000 IR). Endlich mal wieder Fisch. Ich esse wirklich gerne Fisch. 

Wohlfühlprogramm mit Yoga und Joggen und …

Die nächsten Tage beginnen mit Joggen am frühen Morgen (Eve) und Yoga bei Amogh, einem indischen Yogalehrer, der im Avocado Guesthouse in der Shaka auf dem Dach praktiziert. In Ermangelung anderer Yogis – da Saisonende – stellt sich Amogh ganz auf unsere Bedürfnisse und Wehwehchen ein – im Prinzip Privatstunden. Auf dem Rücken liegend atmen wir tief in den Bauch, dehnen unsere Wirbelsäule diagonal und längs. Schwitzend halten wir die Posen, kämpfen und genießen, mit dem Ziel, uns hinterher so beweglich wie ein Akrobat zu fühlen. Wenn Amogh nicht kann, gehen wir ins Simrose zu Sabine, die Restoratives Yogaanbietet. Bei dieser Art von Yoga, die für uns auch neu ist, werden die einzelnen Stellungen lange gehalten, wobei der Körper mit Polstern, Kissen und Blöcken unterstützt wird, dass er gut entspannen und regenerieren kann. Restorativ bedeutet wiederherstellend oder heilend. Diese sanften Bewegungen durch Vorwärtsbeugen, Rückbeugen und Dehnen lösen Verspannungen unserer Wirbelsäule. Die erste Yoga-Einheit bei Amogh endet für Rolf bedauerlicherweise mit Schmerzen in seiner kaputten Schulter – er wollte wieder mal zu viel. So ein Mist!Wo er doch jetzt dem Yoga so entgegenfiebert. Dem Himmel sei Dank, denn Ibuprofen schafft Abhilfe. 

Restoratives Yoga bei Sabine

Sergej, eine Russe und eine Institution in Agonda, scheint der Maharadscha der Physiotherapeuten zu sein. Er ist bekannt wie ein bunter Hund. Neben dem rosa Häuschen geht man durch ein Gartentor, folgt dem Weg bis zu seiner Veranda und legt sich dort auf den Boden. Dort hat er sich mit Hilfe von Matten, Decken und Kissen, die auf dem Boden liegen, seine „Massagepraxis“ gebaut. Nach einem kurzen Gespräch mit Händen und Füßen angesichts seiner mangelnden Englischkenntnisse knetet, drückt, reibt und klopft Sergej meinen Rücken, meinen Po mit der Lendenwirbelsäule, die Beine hinunter bis zu den Füßen. Währenddessen jaule ich vor Schmerzen wie ein Hündchen oder entspanne mich wie ein Faultier. Hinterher geht’s mir immer besser. In gespannter Erwartung kommt Rolf um die Ecke. Auch bei ihm geht Sergej nicht zimperlich ans Werk. Weil Sergejs Terminkalender üppig gefüllt ist und er alsbald Agonda verlässt, ergreifen wir die Chance für zwei weitere Behandlungen.

Tagsüber flüchten wir vor der großen Hitze in schattige Restaurants, harren dort im schattigen Wind aus, bis die Sonne am Nachmittag an Kraft verliert. Dann werfen wir uns freudestrahlend in die recht hohen Wellen, schwimmen und beobachten die Leute auf den Body-Boards, wie sie darauf liegend auf dem Wellenkamm rasant schnell zum Strand gleiten. 

Unsere einzige Aufgabe am Abend ist es, ein passendes Strandrestaurant auszuwählen. Ein Sonnenuntergang ohne Kingfischer-Bier wird unvorstellbar. Die Restauranttester, Jürgen und Rolf, degustieren Chicken Vindaloo – der Name klingt wie das kölsche Karnevalslied „Lev Linda Lu“- in unterschiedlichen Varianten, während Saskia und ich den vegetarischen Spezialitäten wie Allo Gobi oder Jeera Alootreu bleiben. Raitaund Butterbzw. Garlic Naanwerden unsere konstanten Begleiter. 

Da die Schildkröten zur Zeit ihre Eier am Strand ablegen, ist es den Restaurants nicht erlaubt, Tische und Stühle in den Sand zu stellen, auch keine Sonnenliegen. Das ist zwar schade, aber verständlich. Auch wir haben das Glück eines Abends die frisch geschlüpften Schildkröten in einer Schüssel schwimmend zu sehen, die darauf warten, am Abend ins offene Meer laufen zu können. 

Auf dem Weg zu unserem Guesthouse ist es unvermeidlich von den Verkäufern mit „Hello Mister! You can have a look inside!“ angesprochen zu werden. Anfänglich mehrmals am Tag, später immer weniger. Verstehe wer will, warum es hier wirklich in fast jedem Shop das Gleiche gibt. Klangschalen, Götterfiguren, Elefanten, Schlösser, Schmuck, Batikkleider, T-Shirts und Hosen. Während die Kleidung vor rotem Staub dahingilbt, wird der Rest täglich mit einem Feudel gesäubert. Es vergeht kein Tag an dem die Verkäufer nicht ihre Regale, Bretter und Treppchen in mühevoller Kleinarbeit aufbauen, bestücken und spätabends alles wieder abbauen. Um der Langeweile mangels Kunden zu entgehen, schlagen einige die Zeit mit Kartenspielen tot. Mir persönlich ist es in den Läden eh viel zu heiß, da können sie so viele Ventilatoren anbringen wie sie wollen. Schon im Eingang läuft mir der Schweiß den Rücken hinunter.

Palolem-Beach

Nach ein paar Tagen bietet es sich an, mal nach Palolem zu fahren, zumal Rolf es noch gar nicht kennt. In Palolem habe ich 2016 meine Indien-Liebe entdeckt. Unser Taxi lässt uns an der Palolem Road raus, wo Saskia und ich die Klamottenläden in Augenschein nehmen. Rolf und Jürgen ziehen es vor, im Cuba die Happy Hour mit einem Mojito zu starten. 

Am Strand angekommen staune ich über die vielen indischen Familien und Paare, die hier scheinbar auch ihr Paradies entdeckt haben. Sie planschen wie Kinder in den Wellen, denn schwimmen können Sie eher weniger. Das ist auch der Grund für die permanente Präsenz der rot-gelben Lifeguards, die Bademeister am Strand, die mit ihrer Trillerpfeife allzu Wagemutige heraus pfeifen. 

Wenn die Sonne glühend rot im arabischen Meer versinkt, locken die Restaurants mit ihren liebevoll mit Kerzenlicht dekorierten Tische zum großen Candel-Light-Dinner. Im Restaurant Chascaa, das auf den Felsen an der Südseite thront, essen wir mit herrlichem Blick über die gesamte Bucht. Romantischer geht’s kaum! 

Palolem Beach

Warum Kühe in Indien heilig sind

Jeden Abend scheinen sich die Kühe am Strand zu einem Stelldichein zu verabreden. Wie auf Knopfdruck machen sie sich gegen 18 Uhr auf in Richtung Strand. Dort nähern sich auch schon mal einer herrenlosen Decke, dessen Besitzer sich gerade im Wasser tummeln. Eine Flasche Sekt mit zwei Gläsern sehen wir dort stehen. Als das Paar zurückkommt, ist ihr  Platz umringt von Kühen. Ratlos stehen sie davor. 

Wenn dann die großen Kisten mit den Essenresten der Restaurants zum Strand getragen werden, laufen sie alle los und ringen um den besten Platz. Jetzt wird klar, warum sie jeden Abend zur gleichen Zeit hierher kommen. Ach diese heiligen Kühe!  Sie gehören zum Straßenbild Indiens wie die Ampeln in Deutschland. Unbehelligt vom lärmenden Verkehr stehen, liegen und gehen sie herum, wie Speedblocker regeln sie dadurch den Verkehr, da sie immer Vorfahrt haben. Niemand darf sie behindern oder ihnen Gewalt antun, geschweige denn schlachten. Fährt jemand eine Kuh an, wird er hart bestraft. 

Ich frage nach, ob diese Tiere denn jemanden gehören. Ja, tuen sie … die Besitzer können sich meist nur kein Futter leisten. Wenn du für den heutigen Tag dein Karma etwas auffrischen möchtest, kannst du an einer Straßenecke von einer findigen Inderin Gras kaufen und die  daneben stehende Kuh füttern. Daneben suchen sich die Kühe aus den Abfällen der Straße und Märkte Essbares zusammen, denn davon gibt’s in Indien mehr als genug. Die Kuh als biologische Müllverwertung! 

Doch warum sind sie denn heilig?“, fragt Rolf mich. Ich gehe der Sache mal nach und finde Folgendes heraus: im Hinduismus nimmt die Kuh eine Sonderstellung ein. Sie gilt als Erfüllerin aller Wünsche, als die Mutter von Millionen indischen Menschen. Ihren heiligen Status hat die Kuh laut Mythologie Gott Krishna zu verdanken, da er eine zeitlang in einer Hirtenfamilie lebend von einer Kuh ernährt wurde. Für das Karma ist es zuträglich, die Kühe zu achten, zu ehren und sogar zu pflegen. In Mumbai habe ich selbst ein Altersheim für Kühe zu Gesicht bekommen.

Als Lebensspenderin gibt die Kuh fünf heilige Gaben: 

  • Das Ghee: ein Butterschmalz, das zur Zubereitung der Speisen verwendet wird aber auch für Lampen bei sakralen Zeremonien  und bei der Verbrennung von Toten.
  • Der Mist: für die Landbevölkerung ein wertvolles Brennmaterial und Düngemittel, aber auch zum Hausbau als Bindemittel zwischen Lehm und Stroh.
  • Der Urin: Mit seiner antiseptischen und heilenden Wirkung, wird er medizinisch verwendet, aber hat auch eine sakrale Bedeutung: z.B. jeder zum Hinduismus Bekehrte wird mit Urin bespritzt.  
  • Die Milch: der berühmte Chai, Tee mit Milch oder Milch-Tee, wird an jeder Straßenecke auf kleinen Kochern zubereitet, ist das Nationalgetränk Indiens. Alle trinken es, ob reich, ob arm, ob alt, ob jung.
  • Das Lassi: Lassi ist ein Joghurt-Getränk (natürlich auch ein Milchprodukt), das in der großen Hitze kalt und erfrischend ist.  

Nun wird wird deutlich, warum die Kuh für die Inder eine so große Bedeutung hat. 

Aberglaube – überall gegenwärtig 

Indien wäre ohne Aberglaube nicht das Indien, das wir kennen und mögen. Häufig wundern wir uns, verstehen nicht unbedingt alles, doch das macht es ja gerade aus in Indien. So viele abergläubische Rituale bestimmen hier den Alltag. Als Westler, die wir eh weniger Zugang zu solchen abergläubischen Praktiken haben, steht es uns nicht zu, darüber zu urteilen oder dies gar als Blödsinn abzustempeln. Wir jedenfalls mögen diese wunderlichen Rituale, deren Bedeutung wir gerne entdecken. 

Wenn allmorgendlich beispielsweise in Auroville die Tamilinnen aus farbigem Reis und Sand, Mehl und Blütenblättern ihre Muster (Rangolis) auf den Boden vor ihrer Eingangstüre gestreut haben, hat uns das sehr berührt. Eines Abends beobachte ich ein ca. 12jähriges Mädchen wie sie geschickt das Muster erzeugt. Wie schön, dass Großeltern und Eltern diese Kunstform und Tradition an ihre Kinder weiter geben. Natürlich sollen diese Rangolis vor dem bösen Blick (evil Eye) schützen und Glück bringen. Der Glaube an den bösen Blick ist vielen Kulturen verbreitet. Bei Kleinkindern und Babys werden zu diesem Zweck schwarze Punkte ins Gesicht gemalt, was schon etwas seltsam aussieht. 

Ein Mädchen gestaltet ein Rangoli

Bereits in Nepal haben wir uns über die schwarzen Gummischnüre an den Kotflügeln oder Stoßstangen der LKWs gewundert. Auch sie geben, wie die kleinen Altäre und Gottheiten wie Shiva und Ganesha, auf der Armatur der Autos göttlichen Schutz. Ebenso gelten die Schnüre mit aufgefädelten Chillis und Limetten (Nimbu-Mirchi) an Stoßstangen festgebunden oder vor Geschäften als Symbol für das Böse und darüberhinaus wehren sie Moskitos ab.

Auch die unzähligen Krähen, die wir eher lästig und laut empfinden, da sie mit ihrem ewigen „KAA, KAA, KAA, …“ das Getöse in Indien noch weiter befeuern, werden geehrt und gefüttert, das sie mit den verstorbenen Ahnen in Verbindung stehen. Einmal lassen wir für einen kurzen Moment die Bananen und Papayas auf dem Tisch auf der Terrasse liegen und schon machen sich die Krähen darüber her. 

Abschied von Saskia und Jürgen

Erst ein paar Tage vor der Abreise der Beiden realisieren wir, dass sich unsere gemeinsame Zeit dem Ende zuneigt. Wie schnell die letzten Wochen doch vergingen! Fast vier Wochen haben wir gemeinsam Indien bereist. Früher, als unsere Kinder noch klein waren, sind wir öfter gemeinsam nach Frankreich an die Ardéche gefahren. Doch begründet durch unsere beruflichen Wege und unser Engagement in unserer Arbeit und in der Familie, insbesondere für die Enkelkinder, hatten wir keine gemeinsame Urlaubszeit mehr. Um so mehr, sind wir so dankbar dafür, dass wir dies auf unserer Reise so umsetzen konnten. Diese Erlebnisse hier werden immer in unserer Erinnerung sein. Ein letztes gemeinsames Frühstück beim Nepali gegenüber. Mit Tränen in den Augen nehmen wir vor dem Tor unseres Guesthouses Abschied, als das Taxi erscheint. Wir drücken uns lange. Am liebsten wären wir mitgefahren. Ja, wir haben Heimweh! 

Vor dem Abschied noch ein Gruppenbild

Patnem Beach

Obwohl wir ursprünglich noch eine Woche bis zu unserer Abreise nach Südafrika in Agonda bleiben wollten, spüren wir Beide, dass wir nach dem Abschied einen Wechsel brauchen, zumal wir jetzt auch nicht mehr ohne Klimaanlage schlafen können. Da wir unser Zimmer mit Küche nicht aufgeben möchten, mieten wir das Zimmer nebenan mit AC dazu. Mit den weniger tauglichen Scootern fahren wir nach Patnem Beach und finden das Moonstar-Hutsam nördlichen Ende. Zwei Tage später ziehen wir um, was uns sichtlich guttut. Die einfache Holzhütte mit Terrasse für 1200 IR/15€ bietet alles, was wir brauchen. So hoffen wir, dass die Nächte hier kühler werden als in dem Haus in Agonda. Und tatsächlich die luftige Bauweise ist klasse. Endlich bleibt meine Haut auch nach dem Duschen noch trocken. Auf der Suche nach Yoga probieren wir das Hatha Yoga des Gurus im The Brothers. Der Beginn um 07:30 Uhr erfordert Selbstdisziplin, die Rolf auch an einem Morgen aufbringt. Angesichts der eher schnell wechselnden Asanas und des ruppigen Stils suchen wir weiter.

Das Moonstar Huts

Als wir im Chai-Shop an der Ecke zur Beach-Road Masala Omelette essen, kommt unerwartet Gabriella herein, die ich in den letzten beiden Jahren auch hier getroffen habe. Nach langem Plausch wird klar, dass wir fürs Yoga den Weg in den Dschungel nach Gurukul auf uns nehmen.

Die Gurukul Shala

Archays Yoga ist vedisch ausgerichtet und genau unser Stil. Schwitzend verbiegen wir uns, halten die Asanas lange und atmen tief ein und aus. Die positive Wirkung spüren wir gleich im Anschluss daran. So laufen wir jeden Morgen um 8 Uhr zuerst auf einen Kaffee in den Chai-Shop und dann gestärkt um 8:30 Uhr zum Yoga. Seit langem sehe ich vier bewegliche Männer im Kurs. Archays neue Shala mit seinem kleinen Tempel vorne ist wirklich sehr hübsch geworden. Insgesamt ist dieser Ort hier eine kleine Oase zum Wohlfühlen. 

Der Chai Shop

Das dritte Mal in Patnem und ich mag es immer noch sehr. Rolf freut sich nun auch auf kühlere Temperaturen in Südafrika. Wehmütig nehme ich Abschied. Wir kommen wieder – ganz bestimmt.

Auf unserem Reiseplan steht wieder ein komplett neues Kapitel, Afrika, mit dem Start in Südafrika und einem weiteren Familien-Treffen mit meinem Sohn Alex, seiner Frau Romina und den Kindern Luan und Noomi – wir freuen uns drauf …

Auroville – ein alternatives Lebensmodell und mehr als ein Dorf für Hippies und Freigeister

Auroville möchte eine universelle Stadt sein, in der Männer und Frauen aller Länder in Frieden und fortschreitender Harmonie leben können, jenseits aller Bekenntnisse, politischer Überzeugung und nationaler Herkunft. Aurovilles Aufgabe besteht darin, die wahre menschliche Einheit zu verwirklichen.

Mira Alfassa, Gründerin Aurovilles

Im Netz kursieren die wildesten Vorurteile von Sekte bis Kommune, in der die Halbnackten mit Blumenketten auf Gitarren klimpern. Denn neugierig wie wir sind, wollen wir uns selbst ein Bild von der sogenannten Stadt der Zukunftmachen. Rolf und ich sind weder esoterisch noch religiös, dafür offen für Neues. Immerhin haben wir acht Tage Zeit für Auroville. Bei meiner Schwester, Saskia,  die bereits zweimal in Auroville war, sind wir in guten Händen, denn sie weiß wie und wo wir beginnen können. 

Als erstes organisieren wir uns eine schöne Unterkunft am nicht so schönen Strand. Hauptsache Wind, denn es ist weiterhin heiß und feucht. Strände in Tamil Nadu laden weniger zum Verweilen ein, da sie erstens von Fischern und deren Booten und zweitens von der lokalen Bevölkerung als Toilette und Müllplatz genutzt werden. Mit unserem Taxifahrern durchforsten wir die Unterkünfte am Meer. Obwohl das Samarpan Guesthouse mit 3000 IR (39€) etwas über unserem Budget liegt, überwiegen die Vorteile so schwer, dass wir bleiben. 

Auch wenn es unser Budget sprengt – wir lassen es uns gut gehen …

Der italienische Besitzer hat hier eine für diese Gegend schön gestaltete mediterrane Anlage mit einem gepflegten Garten und Pool geschaffen. Um in das ca. 5 km entfernte und weitläufige Auroville zu kommen, leihen wir uns für die nächsten Tage vier Roller. Weil Auroville bargeldlos funktioniert, braucht auch jeder eine Auro-Card, die man im Guesthouse gegen eine Kaution von 500 IR bekommt. Diese müssen nur noch in Auroville  aufgeladen werden. Komisch oder? Bargeldloses Auroville und dennoch eine Geldkarte! Also jetzt aber endlich los. Helme auf die schwitzigen Köpfe und los geht’s. Vier Scooter hintereinander auf staubigen und buckligen Wegen in Richtung Hauptstraße, die mit ihrem tosenden und chaotische Verkehrsgewühle auf unsere erste Überquerung wartet. Denn gegenüber führt die Straße direkt nach Auroville. Wie sollen wir nur zu Viert hier rüberkommen? Schweiß rinnt unter dem Helm hervor. Ich schaue rechts, links, rechts links… jetzt rüber… ach nein… das reicht nicht… puh, wie anstrengend ist das denn! Rolf ist da durchsetzungsfähiger … 

Die eigentlichen Könige der Straße, die viel zu schnellen Busse und LKWs, lassen wir vorbeiziehen. Jede noch so kleine Lücke bietet einem von uns die Chance rüberzufahren. Endlich drüben, geht’s weiter voran immer schön im Fahrtwind kühlen. Das tut gut. 

Das Finanzcenter zu finden stellt sich uns als nächste Aufgabe. Keine Schilder, dafür kopfwackelnde Inder, die niemals zugeben würden, dass sie den Weg auch nicht wissen. Meine Schwester, die mit Mama Google nicht so eng verbunden ist, fährt nach Gefühl vorneweg. Komisch, sie kann sich doch nicht mehr so genau erinnern, wie gedacht. So wenden wir das ein oder andere Mal. Rolf schüttelt genervt den Kopf. „Eve, mach du die Navigation!“, höre ich ihn hinter mir. Während wir mit unseren Rollern über staubige, rote Pisten cruisen, begegnen und überholen uns permanent grauhaarige westliche Frauen wie Männer zwischen 50 und 70 Jahren. Sie scheinen zu den Pionieren von Auroville zu gehören, die hier vor 50 Jahren auf trockener roter Erde die ersten Bäume gepflanzt haben. Bis auf die German Bakery, die Pizzeria Tanto, das Café Bread &Chocolate und einigen Europäern auf E-Bikes sieht alles so aus wie sonst, nur mit weniger Müll. An der Rechtskurve hilft uns zur Orientierung der Shiva-Tempel mit ohrenbetäubender Musik. Nach dem Dorf Kuillapalayam säumen Bäume die Straßen wie eine Allee. Es wird immer grüner und dichter, die Luft immer frischer. Der Wind kühlt uns etwas ab. Der Verkehr ist bis auf ein paar gelbe Schulbusse und Lastwagen eher ruhig, so dass das Scooter fahren entspannt ist.

Unser Hunger treibt uns über rote Schotterpisten zur größten Gemeinschaftskantine von Auroville, Solar Kitchen.Hier stärken wir uns nach dem Aufladen der Karten mit gesundem Bio-Essen. Natürlich vegetarisch, natürlich leise – manche Tische sind mit einem Silence-Schild ausgestattet, natürlich selbst spülen. Rolf stochert etwas in seinem Gemüse herum. Es schmeckt ihm bedingt. Täglich werden hier über 1000 Mahlzeiten für die Schulen und andere Kantinen in Auroville vorbereitet. 

Im Visitor Center informieren wir uns anhand der Ausstellung und eines fortlaufenden Films über die Geschichte und die Philosophie Aurovilles. Uns wird klar, dass du viel Zeit und Mühe brauchst, um Auroville wirklich kennen zu lernen, sich das Konzept, die Idee, die Angebote und Möglichkeiten zu erarbeiten. 

Das kulturelle Angebot ist so vielfältig, dass es uns fast überfordert. Dutzende Workshops in den unterschiedlichsten Yoga-Stilen, Meditation, Ayurveda, Massagen, Feldenkrais, Hypnose, Kunst, Kino, Gärtnern, Astrologie, Om Chor, Fitness, Coaching, Tanzen, Sound-Baden oder ein Sound-Garten, Akupunktur, Capoeira, Kampfsport, Pranayama und einige Angebote zum Thema Alternative Energien und ökologische Landwirtschaft. Entweder suchst du auf der Homepage oder blätterst in dem Ordner im Visitor Center. Wegen der Hitze finden die meisten Veranstaltungen früh morgens oder am späten Nachmittag statt. 

Sound-Baden

Wir probieren das Sound-Badenan einem Abend. In der Mitte eines großen schönen Raumes liegen unzählige Musik- und Klanginstrumente. Matten mit Kissen liegen im Kreis bereit. Leise treten ca. 40-50 Interessierte ein und suchen sich ein Plätzchen. Während wir mit geschlossenen Augen auf den Matten liegen, lauschen wir den Klängen, die aus unterschiedlichen Richtungen kommend, eine Geschichte erzählen. Laut und leise, hell und dunkel, tief und hoch, wie Vögel, wie Gewitter, wie Frühling, wie Abend … Eine Stunde Klanggeschichte, eine Stunde verzaubern lassen vom Genusshören. 

Watsu – Wasser – Shiatsu

Was ist wohl Watsu, frage ich meine Schwester, als sie mir vorschlägt, einen Termin dafür zu vereinbaren.. Begeistert erzählt sie mir von ihren Erlebnissen, als sie das letzte Mal hier war. Na dann ist das auch etwas für mich. Das sollte ich mir doch nicht entgehen lassen. Im Internet lese ich, dass Watsu auf den Lehren des Zen-Shiatsu beruht. Die physikalischen Eigenschaften des Wassers werden dazu genutzt, den durch den statischen Auftrieb von der Schwerkraft entlasteten Körper passiv zu dehnen und zu strecken.  

Unsere Männer zeigen weniger Interesse an Watsu, folglich fahren wir ins Quiet-Healingcenter.  Watsu ist ziemlich gefragt. Doch an unserem letzten Tag in Auroville sollen wir doch noch in den Genuss dieser außergewöhnlichen Erfahrung kommen. Mit Schwimmsachen bepackt stehen wir um 12 Uhr auf der Matte. Vor der Therapie bekommt jeder von uns ein ausführliches Briefing von seinem Therapeuten über die bevorstehende Behandlung, z.B. welches Zeichen er uns gibt, wenn er uns ganz untertaucht. Zu diesem Zweck hat er eine Nasenklammer dabei, die er uns später in die Hand drückt. 

In 35 Grad warmen Wasser bekomme ich mit Auftriebskörpern an den Fußgelenken ein erstes Gefühl dafür, dass meine Füße nach oben wollen. Mein Therapeut, Pascal, steht im brusttiefen Wasser und hält mich unter den Armen fest. Ich soll die Augen schließen und nichts tun. Er bringt mich in die Rückenlage und trägt mich mich durch das Wasser. Indem er meine Beine anwinkelt, mich zur Seite dreht, die Arme nach oben und hinten durch zieht, dehnt er meine Beine, meine Taille, meine Arme, den Rücken, den Hals … alles ganz langsam. Ich selbst darf nichts aktives tun. Ich verlasse mich komplett auf ihn. Er zieht mich durch das Wasser, wobei ich die Strömung des Wassers spüre. Das Wasser streichelt meine Haut großflächig. Hui, ist das ein berauschendes Gefühl! Unter Wasser erklingt sanfte Musik. Ein vorgeburtliches Gefühl macht sich breit, als er mich in die Babystellung bringt und festhält. Die Beine über seinem Arm, mein Kopf an seiner Brust umschließt er mit dem anderen Arm meinen Oberkörper, zieht mich sanft durch das Wasser. So muss es im Mutterleib gewesen sein. Wow … wie wunderbar! Noch nie habe ich mich so geborgen gefühlt.Als er mir das Zeichen zum Untertauchen gibt, befestige ich die Nasenklammer. Ich hole tief Luft, er drückt mich tiefer nach unten, dreht mich zur Seite, zieht mich an einem Arm und einem Bein durch das Wasser und holt mich auch wieder nach oben. Ich atme aus… wow… so dunkel da unten, so ruhig und schwerelos… vielleicht fühlt sich so der Tod an… gar nicht so übel… das kann ja noch ganz nett werden.Immer wieder taucht er mich in verschiedenen Positionen unter, nie zu lange, nie unangenehm. Ich vertraue ihm total. Wie ein Wal gleite ich schwerelos dahin, tauche mal auf, um dann wieder im Dunkeln zu verschwinden. Nach einer Stunde entspanntes Dahingleiten in Schwerelosigkeit, komme ich mir beim Hinausgehen wie ein tonnenschwerer Elefant vor. Was für ein grandioses Erlebnis!  

Kleine Entstehungsgeschichte von Auroville 

Die Französin, Mira Alfassa, auch The Mother genannt, kam 1914 nach Pondicherry. Sie verwirklichte Sri Aurobindos Gesellschaftstheorie einer universellen Stadt. Sri Aurobindo (1872-1950), der von seiner Familie mit sieben Jahren nach England geschickt und dort in Englisch, Latein und Griechisch, in Geschichte, Geographie, Arithmetik und Französisch ausgebildet wurde, setzte sich nach seiner Rückkehr mit alternativen Lebensformen auseinander. Er forderte die vollständige Unabhängigkeit Indiens. Während er sich politisch weiter engagierte, wandte er sich verstärkt dem Studium der indischen Yoga-Lehren und Übungen zu. Sri Aurobindo, der Freiheitskämpfer, Poet und Guru entwickelte eine neue Lebensform, die er selbst als Integrales Yoga bezeichnete – Integral = umfassend; Yoga = Bewusstseinsentwicklung im Sinne einer modernen, zukunftsweisenden, umfassenden Bewusstseinsentwicklung. In Pondicherry gründete er einen Ashram, dessen verantwortliche Leitung er Mirra Alfassa, die er mit der Göttlichen Mutter identifizierte, vollständig übertrug, um sich zurückzuziehen. The Mother, Mira Alfassa setzte die Theorien des Philosophen Sri Aurobindo um. Sie war seine rechte Hand. Sri Aurobindo lebte bis zu seinem Tod 1950 zurückgezogen in seinem Haus und verfasste seine Philosophie in Büchern und Schriften. Bemerkenswert ist, dass die Beiden die Unterstützung vom indischen Staat und einer UNESCO Resolution bei der Umsetzung bekommen haben. Das war der Startschuss für das Projekt Auroville, die Stadt der Morgenröte. 

Auf dem Weg nach Auroville wird deutlich, dass Auroville keine dicht besiedelte Stadt ist, sondern aus über 100 Communities, die weit verstreut und zum Teil versteckt in den Wäldern liegen, besteht. Diese Wälder und Felder sind das Resultat unermüdlicher Pflanz-und Farmarbeiter, der ersten Pioniere vor 50 Jahren, denn das gesamte Land war abgeholzt, trocken, karg und rissig. Der Wind wehte vom Meer die braune Erde in die Gesichter der Pioniere. Dieser Wald ist heute die grüne Lunge, die für reichlich Sauerstoff und kühle Luft in dieser tropischen Hitze sorgt. Manche Communities zeichnen sich durch futuristische Architektur, andere durch einfache Hütten aus Holz oder einfachen mehrstöckigen Häusern. Die Communities verfolgen unterschiedliche Lebensmodelle und Schwerpunkte wie z.B. Kunstprodukte, Musik, Ökologischer Anbau etc. Jeder kann sich seine passende Community suchen und dort leben. Eigentum gibt es nicht. Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung gibt es dagegen zu Genüge. Das Sport-und Kulturangebot für die Aurovillianer und deren Kinder ist immens und kostenlos. Das beeindruckt uns sehr! Neben einem schönen Schwimmbad, in dem Eltern beim Babyschwimmen ihre Kleinsten ans Wasser gewöhnen,  befinden sich Tennisplätze und ein überdachter Basketballplatz. 

Auroville ist kein Ponyhof, kein Bildungsurlaub, keine Hippie-Kommune und keine Sekte. Auroville ist ein alternativer Lebensentwurf zwischen Kommunismus und Kapitalismus, zwischen internationaler Gemeinschaft und Individualität. Ohne Bürgermeister, Politiker, Autoritäten und Religion leben hier fast 3000 Aurovillianer in einer spirituellen und ökologisch-bewussten Gemeinschaft.

Auroville – ein Raum zum Experimentieren

Dass Auroville ein guter Ort zum Leben ist, ist uns nach den ersten Tagen bereits deutlich geworden. Ohne Polizei und Kriminalität, ohne Neid und Konkurrenz lebt man hier friedlich zusammen. Allein das kostenlose Kultur-und Sportangebot, das gesunde und frische Essen aus ökologischen Anbau, die E-Bike und E-Busse, die kostenlosen Kindergärten und Schulen, die Idee der Nachhaltigkeit usw. machen das Leben hier lebenswert. Die experimentierfreudigen Aurovillianer entwickeln alternative Energien (Biogas-, Solar- und Windenergie) und Ideen für ein nachhaltiges Leben. Sie betreiben ihre Landwirtschaft ökologisch. Sie backen Pizza oder Kuchen, stellen Mozzarella und anderen Käse her. Die Produkte, die in Auroville produziert werden, können nicht nur in Auroville, sondern auch in den umliegenden Supermärkten gekauft werden. Eingekauft wird hier übrigens unverpackt. Ganz modern und selbstverständlich! Jeder bringt sich für das Gemeinwohl mit ein, ganz im Sinne der Gründer.

Aurovillianer können ohne einengende Normen und Verbote ihre vielfältigen kreativen Fähigkeiten überall einbringen. Vieles ist möglich … einfach mal anfangen! Auroville ist ein Projekt, in dem ständig  Neues ausprobiert wird, ein Prozess, dessen Ende offen ist. Dazu gehören Fehler, Scheitern, Frustrationen und Neubeginn. Diese positiven Fehlerkultur, an der es in Deutschland mangelt, ist der Motor für Fortschritt und Kreativität. Auroville wird auch als Stadt der Zukunft bezeichnet, als Vision einer neuen Welt, in der neue Lebenskonzepte erforscht und erprobt werden. Besuchergruppen aus der ganzen Welt, Studenten der Architektur, der Agrarwissenschaft, der Pädagogik usw. besuchen und lernen in Auroville.  

Viele, wie beispielsweise unser Guide, nehmen in Chennai ein Studium auf und kehren anschließend wieder zurück nach Auroville, um hier zu arbeiten. Ein Leben außerhalb von Auroville scheint unvorstellbar. Apropos Arbeit… in Auroville arbeitet man maximal 5-6 Stunden pro Tag. Was jeder arbeitet, mit welchen Ressourcen er sich einbringt, entscheidet jeder Aurovillianer für sich. Jeder erhält ein Grundeinkommen von ca. 150€, wovon er die Hälfte in Auroville ausgeben muss. Eigentum und Besitz gibt es nicht. Wenn jemand hier ein Haus gebaut und viel Geld investiert hat, hat er zwar ein Wohnrecht, aber kein Eigentum. Manche der selbstständigen Aurovillianer, die beispielsweise Restaurants, Geschäfte, Gästehäuser betreiben, müssen 30% ihrer Einnahmen abgeben. Die Idee eines geldlosen Systems konnte noch nicht in Gänze umgesetzt werden, da Dienstleistungen von außen notwendig sind. Geld kommt schon alleine dadurch in Umlauf, dass jeder Novize sich hier selbst finanzieren muss. 

Matrimandir – das spirituelle Zentrum

Unser Guide, Mister B aus Amerika, der eigentlich Bill heißt, aber das „ill“ irgendwann gestrichen hat, zeigt uns das spirituelle Herz Aurovilles, das Matrimandir, das Meditationszentrum, das von einem stilvoll angelegten Garten in Form einer Galaxie umringt ist. Wiesen, Wege, Beete, Büsche und Wasserläufe sind geometrisch angeordnet. Der Prozess muss Jahrzehnte gedauert haben. Diese goldene Kugel löst unterschiedliche Assoziationen aus … wie ein UFO… wie ein goldenes Ei… thront sie etwas erhoben über diesen grünen Garten. 

Matrimandir – das spirituelle Zentrum von Auroville

Im Inneren erfahren wir mit weißen Socken bestückt, welche Ideen Mira Alfassa mit dem Bau dieser Kuppel umsetzen wollte. Wir wandeln einen spiralförmigen Weg nach oben. Ganz still und leise schreiten wir in dieser Menschenkette andächtig nach oben mit Blick auf den Lichtstrahl aus der Decke, der schnurgerade abwärts strahlt. Oben angekommen wird es kühler. Wir betreten etwas aufgeregt den weißen Meditationsraum. Wir staunen, wie groß und rund er ist. Alles ist weiß, selbst die Meditationskissen auf dem Boden. In der Mitte fesselt eine Glaskugel, die auf einem goldenen Ständer ruht, direkt unsere Aufmerksamkeit, denn das Sonnenlicht, das durch drei Spiegel gebündelt wird, durchdringt aus einer Öffnung in der Decke wie ein Laserstrahl die Glaskugel. Leise nehmen alle nach und nach Platz und versinken in Meditation. Mit Blick auf die durchsichtige Kristallkugel, in der sich das Sonnenlicht und die Wolken von oben spiegeln, meditieren wir ca. 20 Minuten. Wir fühlen uns so klein, angesichts dieses Universums um uns. Dieser weiße runde Raum mit einem Kreis aus zwölf weißen Säulen, die einfach so in die Luft ragen ohne etwas zu tragen, berührt und bewegt. Keine Frage. 

Ein plötzlich auftauchender greller Lichtstrahl, das Zeichen für das Ende der Mediation. Schweigend stehen alle auf und laufen die Spirale wieder andächtig hinunter. Draußen in der Sonne sehen wir, dass das Matrimandir von zwölf Meditiationsräumen umgeben ist, die wie Blütenblätter die Kugel umschließen. Diese runden Räume dienen ebenso der Meditation. Hinter dem Matrimandir in dem Amphitheater, in dem vor einigen Wochen die große Feier zum 50jährigen Jubiläum stattgefunden hat, befindet sich die steinerne Lotusblume, in dessen Inneren haben die ersten Pioniere eine Handvoll Erde aus über 120 Ländern gestreut. In dem Park befindet sich ein riesiger uralter Banyanbaum mit Luftwurzeln, die ihn in der Breite tragen. Ein einziger dicker Stamm und viele Dünnere bilden ein kleines Wäldchen. Wie lange Arme bilden sie eine Art Schirm. Die Äste bilden, wenn sie immer länger werden, diese Luftwurzeln und bilden dadurch eine neuen Stamm. Ein wunderbarer schattiger Platz in diesem Garten. Dieser Baum dient unter anderem als Metapher für die Lehren der Begründer.

Aurovilles Kindergärten, Schulen und weitere Projekte

 Selbstverständlich möchte ich als Berufsschullehrerin, die ErzieherInnen ausbildet, auch einen Kindergarten besuchen. Das dies den Rahmen hier sprengen würde, habe ich meine Erlebnisse dort in einem separaten Blogpost neben einigen weiteren nachhaltigen Projekten in Auroville niedergeschrieben. Ihr findet den Beitrag hier …

Auroville – ein Fazit

Das Ziel, dass der Mensch in Harmonie und Einklang mit sich selbst und der Natur lebt, fasziniert uns selbstverständlich. Wer wünscht sich das nicht? Auroville ist ein Zentrum für Innovatoren und Veränderer, die an einem kollektiven Klima positiver Entwicklung und Fortschritt interessiert sind, insbesondere in den Bereichen nachhaltiges Leben und umweltfreundliche Praktiken. Ob Auroville als Wegbereiter und Vorbild auf die große Welt draußen einwirken kann? 

Acht Tage reichen wahrlich nicht aus, um tiefer in Auroville einzutauchen. Beim nächsten Mal würden wir eher in einem Guesthouse in Auroville wohnen wollen, um einfach mehr an den kulturellen Angeboten teilhaben zu können. Da es im März schon sehr heiß und feucht ist,  würde ich lieber früher hierher kommen. Ich wünsche mir, dass unsere Städte für alle Bewohner und Kinder kulturelle Veranstaltungen, Sportangebote und den öffentlichen Nahverkehr kostenfrei zur Verfügung stellen. Wie? Ganz einfach… die Reichen höher besteuern!

Was haben wir sonst so gemacht?

Rolf und ich wollen mal das Meer von Nahem sehen. Die rauhen Wellen und die vielen Fischerboote, in welchen die Inder stehend über das Wasser treiben, haben wir von unserer Terrasse beobachten können. Also folgen wir dem Weg zum Strand, der rechts und links voller Müll ist. Doch was ist das? Wir trauen unseren Augen nicht. Keine Touristen, dafür Fischerboote. Keine Liegen oder Schirme, dafür Müll und Bauschutt. Der Strand in Tamil Nadu gehört gehört eindeutig den Tamilen, deren Haut extrem schwarz ist. Mangels Toiletten zieht sich der Inder schnell den Dhoti hoch und flupps verschwindet die Kacka im Meer, mit der Hand noch schnell nachgewischt und fertig. Abends und morgens ist hier High Season. An anderen Stellen riecht es nach altem Fisch oder Müllresten. Überall sehen wir vom Meer zerstörte Häuser und Mauern. Einige haben ihre komplette Lebensgrundlagen verloren. Die Inder erklären, dass durch den Bau des Hafens in Pondicherry jedes Jahr die Wellen näher an Ufer kommen und Sand abgraben. Dabei ist ihre Zerstörungskraft so groß, dass sie ganze Häuser mitreißen. Entsprechend sieht es aus wie auf einer Baustelle. Unser Spaziergang ist schnell beendet. So ist es eben. Für die Tamilen hat der Strand keinen touristischen Wert. Für sie hat er andere Funktionen. 

Die Zerstörungen sind schon gewaltig

Da es in unserem Resort kein Restaurant gibt, werden wir Stammkunde der Pizzeria Tanto, die einfach die besten und knusprigsten Pizzas hinzaubert. Das beste ist, sie liefern auch noch. Zur Krönung des Abends geht nur noch ein Tatort und ein Bier. Leichter gesagt als getan. Mit Rolf fahre ich sogar über 10 km bis nach Pondicherry, um in einem Alkoholshop einen Vorrat an Gerstensaft zu ergattern. Mit schweren Rucksäcken geht’s zurück. Und der Tatort? Das ruckelige Wifi bewirkt Pausen und Wiederholungen. Was soll’s. Hauptsache, wie zu Hause, zumal mit Schwester und Schwager. Einfach gemütlich! Manchmal braucht man das als Langzeitreisende.

Tatort gucken …

Selbstverständlich steht Pondicherry auch am letzten Abend auf unserem Programm. Zusammengequetscht in einem Tuktuk düsen wir zu viert ins 10 km entfernte französisch geprägte Städtchen. Ganz anders sehen die Häuser und Straßen hier aus. Irgendwie ordentlicher, schöner angestrichen, wobei mir die grau-weißen Häuser nicht so zusagen. Auf der Strandpromenade zu flanieren, ist hier Pflichtprogramm. Liebespaare auf Bänken, Familien mit Kindern und viele Franzosen schlendern hier entlang. Die Hotels und Restaurants wirken mondän und wie aus einem anderem Film. So chic! Am Ghandi-Denkmal vorbei entdecken wir Kunstwerke. Hier sind Porträts von berühmten Menschen auf geflochtenen Palmblättern gemalt. In einem französisch gestyltem Restaurant essen wir draußen im Garten. Wie üblich, schwitzen wir und bitten darum, den Ventilator – auch draußen – anzustellen. Sogar kaltes Bier wird uns serviert. 

Am nächsten Tag geht es zurück nach Chennai, um von dort zu unserer letzten Station in Indien, Goa, weiter zu reisen …   

Ein Dorf im Dschungel

Ein Gastbeitrag von Jürgen Wojke

Kalkutta, Weiberfastnacht 2019

Es zwitschert. Nach der regnerischen Nacht taucht die Morgensonne unser Viertel in milchiges Licht.  Die weitläufige Wohnung offenbart nun doch eine gewisse Freundlichkeit. 

Bei der Ankunft im Dunkeln am gestrigen Abend empfand ich unser neues Domizil für die nächsten 7 Tage zunächst als bedrückend mit seinen matten Farben und Formen.  Relikte erstarrten künstlerischen Lebens. Vielleicht war es auch der Müdigkeit und Erschöpfung geschuldet.

Überall Bilder und Stoffe aus einer Epoche der 60er. Schon an der Haustür empfing uns ein Plakat des 23. Filmfestivals von Kalkutta von November 2018, in das die Besitzer dieses Hauses oder der Wohnung involviert zu sein scheinen. Die Möbel dunkel und spartanisch, verlieren sich in den riesigen Räumen, an deren Decken 10 alte  vergilbte Ventilatoren dafür sorgen, dass sich die Schwüle besser verteilt. Noch sind sie aus, denn perfekte 22°C sind das angenehme Nebenprodukt einer großzügigen  Regenfront.

Kalkutta ist nach Delhi, die zweite Station des 5wöchigen Urlaubs und beide Städte sind für mich Neuland. Neuland ist auch Saskia, die ich schon 2 Monate nicht sah, was in dem kurzen Leben eines Mannes mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 78 Jahren (EU-Bürger) schon eine messbare Größe in einer farbigen Zeitstrahlgrafik  wäre. 

Aber den zeitweiligen Verlust glich das elektrisierend wuchtige Wiedersehen vor dem Delhi-Terminal einige Nächte zuvor mehr als aus. Die letzten Twittereien vor meiner Kontinentenüberquerung widmeten sich überwiegend der Frage, ob der indische Verhaltenscode, eine heftige Umarmung oder gar weltvergessene Küsse zulässt. Tut er nicht oder nur um den Preis größer öffentlicher Aufmerksamkeit und möglicher polizeilicher Ermahnungen. Extase inside please! 

Glück kann sich dermaßen verdichten, genau wie Geschichte in Momenten von Revolutionen, Atombombenabwürfen, Staatsstreichen oder um noch was geschichtliches Schönes anzuführen, das plötzliche Ende von Diktaturen oder dem Auftauchen von Grete Thunberg. 

Auch die Hauptstadt selbst war aufregend mit ihrer Mischung aus Moderne, bäuerlichem Mittelalter und Vorindustrialisierung, verzweifelter schmutzigster Armut, selbstzufriedenem mittelständischem Wohlstand und arroganter Abgehobenheit der Eliten. Der Duft, die quirlige Geschäftigkeit in jeder Pore des Molochs Delhi, bei der selbst das „h“ steht, wo man es nicht vermutet.

3 Tage später. Der Anflug auf die nasse Metropole Kalkutta war aufregend. Im sattgrünen Umland schien alles unter Wasser zu stehen. Die Wolken verdichteten sich zu einer dunklen schwarzen Wand 

Der Flieger trudelt durch das Inferno, wird hin und her geworfen. Um uns herum grauschwarzes Dunkel. Die Ohren melden unheimliche dumpfe Stille. Wir verlieren geplant an Höhe und setzen trotz der Böen erstaunlich elegant nahe am Terminal auf. 

Der erwartete und nun entfesselte Regensturm treibt die Wassermassen über das in schwarzes Theaterlicht getauchte Flugfeld. Dazwischen Blitze. Wir stehen in unserer warmen Delhi-Februar-Kleidung auf der indigofarbenen Gangway in feuchter Schwüle und warten auf den Transfer-Bus. Eine kurze Fahrt. Wir sind am freundlichen Terminal, ein kurzer Weg und das Gebäckband 3, es wurde im Flieger schon vorausschauend wie immer als unser nächstes Ziel genannt, ließ alle Koffer der bunten Reisegesellschaft des Fluges W 233 vor unseren Augen karussellieren.

Vor dem Gebäude das übliche Airport-Gewimmel aus Fahrgäste suchenden Taxisten, Hotelboten, Freundinnen und Angehörigen der Ankommenden. So schnell wie das Unwetter gekommen war, überließ es den nassen Flughafen nun der warmen Nachmittagssonne für kurze Zeit. Saskia organisierte ein Prepaid-Taxi. 

Der ärmlich wirkende junge Fahrer lud unsere 3 Gepäckstücke in den rostigen Kofferraum des alten gelben Taxis aus der Kolonialzeit. Er ließ sich telefonisch von unserer Vermieterin kurz den Weg auf die andere Seite der 20 Millionen Metropole beschreiben und fuhr los.

Ich fragte mich derweil, warum wir immer die kühnsten Draufgänger mit den klapprigsten Fahrzeugen bekommen. Er entschied klar jedes Rennen in dem chaotischen Gewühl aus Blech und Menschen in der kommenden spannenden Stunde für sich, bog unvermittelt von den Hauptverkehrsadern ab, raste durch enge unübersichtliche Shortcuts, um sich in der nächsten Avenida sofort wieder zu erobern, als wenn wir zur Entbindung müssten. 

Wir fühlten uns angstfrei und gut aufgehoben, da alle Sinne des Profis am Steuer konzentriert zusammenarbeiten, er zielstrebige Ruhe verströmt und das dicke Blech aus des alten englischen Taxis, herkömmlichen Knautschzonen überlegen scheint.

Der Regen hatte wieder eingesetzt, die Dunkelheit auch. Der kleine Scheibenwischer arbeitete hektisch auf der gesprungenen Frontscheibe. Angenehm kühl tropfte es mir  aus dem Motorraum auf die Thrombosestrümpfe, die samt Füßen in Trekkingsandalen steckten. Ein echter Anblick.

Wir durchquerten eine Stunde lang diese grüne Oase. 2-5stöckige verwohnte und vom Monsun eingegraute, vermooste Wohnhäuser, mit praller Geschäftigkeit im Erdgeschoss und in unzählbaren Läden mit Anbietern aller erdenkbaren Dienstleistungen und Waren.

Irgendwie, wie ein unendliches Ehrenfeld, nach dem Zusammenbruch  der Kölner Stadtverwaltung und einer unfähigen Politik, die vor den Anforderungen der Zeit und der periodischen Feuchtigkeit kapituliert und den Menschen der Stadt die Initiative überlassen hat. Außer Moosgrün, grau und schwarz sind alle Wandfarben ausgegangen. Aber sonst gibt es alles und irgendwie geht es immer weiter. 

Alles von Menschen zusammengemauert und Gezimmerte lebt in harmonischer Symbiose mit einer üppigen tropischen Flora und wehrt sich schon im Entstehen  nicht gegen seine fortwährende Zersetzung durch Moose, Schimmelpilze, Autoabgase und den allgemeinen Schlendrian. 

Manchmal erhebt sich die Straße über die Unendlichkeit aus Bäumen und Häusern und überquert Bahngleise oder andere Verkehrsachsen.

Uns erstaunt eine kollektive Anstrengung aller Fahrerinnen und Fahrer um die Stadtluft Kalkuttas zu verbessern. Sie schalten bei jeder Ampel und jedem Halt den Motor ihrer Fahrzeuge aus, sofern es nicht automatisch geschieht. Für mich eine bewegende Initiative in diesem 20 Millionendorf. 

Eine weitere bewegende Beobachtung ist die Liebe zum Grün und die Fürsorge für Vögel und Hunde. Wo ein Pflänzchen wächst, wird es gehegt, selbst wenn es dann 30 Meter Höhe erreicht. Überall auf den Bürgersteigen sprießen Bäume aus den zerberstenden Steinfließen und zwingen die Bewohner auf die Fahrbahn. Häuser werden um Bäumer herum gebaut und in den Dächern werden Öffnungen für die Stämme gelassen. 

Noch ganz gefangen im großen Staunen, biegen wir plötzlich an einer kleinen Filiale der Syndikat-Bank in ein bürgerlich  wirkendes Viertel ein und stehen 2 Minuten später vor unserem jetzigen Zuhause. 

Im Parterre befindet sich ein Paketversand, in dem sich zahlreiche in weiße Säcke eingenähte Warensendungen zu Haufen kuschelig zusammengefunden haben. Eine ausschließlich Hindi sprechende kleine freundlich aber energische Dame ruft aus dem 1.Stock, dass wir hinauf kommen sollen. Unser junger Fahrer hilft uns mit dem Gepäck und wir „checken“ ein.

„Und wenn dat Trömmelsche jeht, dann stonn ma all parat…“ werden am Alter Markt, die ersten Jecken aus heiseren Kehlen dem schlafenden Kölle zujesungen haben, als wir uns gegen 9 Uhr von unserem harten Lager erheben. Der indische Mensch liebt es hart im Bett, warum auch immer. 180 Quadratmeterwohnung, 10 Ventilatoren, 2,50 Meter breite Matratze, aber hart soll sie sein, wie ein Brett mit Decke drauf. 

Am Vorabend sind wir auf der Suche nach etwas Essbarem im 4. Stock einer Shopping-Mall gelandet, die wie ein steriler glitzernder Fremdkörper aus dem natürlich gewachsenen grünen Viertel ragte. 

Zuvor suchten wir in der Umgebung unseres Stadtteils ein kleines Restaurant. Aber wir fanden keins, nur unzählige Essensstände mit Street-Food. Als wir sahen, dass jemand den Topf in einer Pfütze spülte, fühlten wir uns dafür noch nicht bereit und entschieden uns für die Mall.

Unerwartet lecker und nicht überteuert wurden neben Kentucky Fried Chickens  knusprigen Hühnerleichenteilen auch landesübliche Gerichte wie Birjani, eine würzige Reisspeise mit Nelken, Kardamonkapseln und Sternanis  und Dal das überall präsente Linsengericht, angeboten und zum ersten Mal in my live probierte ich, im Gegensatz zu den meist geschmacklosen Eiweißwürfeln aus Sojabohnen, erstaunlich leckeren Tofu. Er hatte die Form und Konsistenz von Mozzarella und ihm fehlte die typische Tofu-Penetranz. 

Im Keller fanden wir einen Supermarkt mit der größten Personaldichte auf dem Subkontinent. Dutzende junge Verkäufer standen ohne wirkliche Aufgabe zwischen den Regalen des Selfservicebetriebs, griffen wahllos in die Regale und Tiefkühltruhen, nahmen gefrorenen Tintenfisch, eingepackte Tomaten oder Ketchup  und priesen es uns an. Für uns, aus einer Rewe- und Aldi-Welt Kommenden eine neue Erfahrung.

Saskia war nach 8 Wochen des Verzehrs der Nr.128, Vegetable Curry nach königlicher Art, heiß darauf, mal wieder Pellkartoffel mit Quark oder Spagetti Olio-Aglio zu probieren und so waren wir glücklich nach einer Weile mit den erforderlichen Zutaten den Laden zu verlassen, nicht ohne dass ein Wachtposten nochmal überprüfte, dass wir nur die 5 Teile im Beutelchen hatten, die auch auf der Rechnung standen. 

Gegen 11 Uhr am heutigen Morgen, der Alter Markt müsste sich schon mit Frohsinn gefüllt haben, nahmen wir ein Taxi zum Office der Jet Airways in der  7 km entfernten Park Street. 

Die Airline hatte uns am Dienstagabend um 19 Uhr, als wir grade mit der Kleider- und Schmuckhändlerin Lori aus Dunkerque am nordfanzösichen Atlantik in einem Rooftop-Restaurant Vegetable Curry aßen, über eine SMS den Kalkutta-Flug für den nächsten Nachmittag gecancelt und uns eine 2tägige Indienrundreise über Mumbai als Alternative angeboten, die dann auch letztlich in Kalkutta enden würde, die allerdings schon in 11 Stunden am nächsten Morgen um 6 beginnen sollte. Als Hintergrund wurden Sperrungen des Luftraums wegen der Bombardierung von Separatisten in Kashmir, aber auch die finanzielle Schieflage von Jet Airways genannt. 

Wir buchten spontan bei der Indigo- Airline um so ohne Rundreise in 1 Stunde und 40 Minuten zu einer menschlichen Nachmittagszeit ins nahe Kalkutta zu gelangen. Nun versuchten wir von Jet Airways den Ticketpreis zurückzubekommen. Vielleicht mit Erfolg, wie sich noch herausstellen muss.

„Kalkutta liegt am Ganges, Paris liegt an der Seine…..“ dudelt Vico Torriani aus Rolf‘s JBL-Box. In der Nacht sind  Eve und Rolf unsere medientechnisch hochgerüsteten Weltreisenden mit einem Tag Verspätung angekommen und haben nun unsere Möglichkeiten der Orientierung, Zielfindung, Musik- und Filmverfügbarkeit und des Infozugriffs enorm ausgeweitet. 

Die Wiedersehensfreude mit den beiden  war riesig und wir erzählten bis in den frühen Morgen. Erstaunlich war aber auch die Tatsache, wie schnell es uns so normal vorkam, dass sie wieder da sind.

Nun  sitzen wir also auf der kleinen andalusisch-blumenbestandenen Außenterrasse unter dem Mangobaum, der den Innenhof, den die benachbarten mehrstöckigen gepflegten Häuser bilden, überspannt. Wir hören italienische Schlager aus den 60ern, nachdem  Saskia‘s Mutter im zuvor geführten Telefonat in die Klinik von Volmarstein, (hier gab‘s ein neues Knie) dieser Song einfiel und damit das Stichwort zu dem Torriani-Evergreen gab. 

Hinter uns liegt ein anstrengender Erkundungstag. Zu Fuß von unserem Lake-Garden-Viertel zur lokalen Bahnstation, dann um den See, der dem „Lake Garden“ – Viertel den Namen gab zur einzigen Metro Kalkuttas, die die Stadt von Süden nach Norden durchkreuzt. 

Eine Diskussion mit 4 Männern, welche Station am nächsten zum Hoogli-Ufer, einem Gangesarm liegt. „Mahatma Ghandi“ ist der Kompromiss, auf den sie sich einigen.

Die Metro füllt sich, umso weiter wir in den urbanen Norden kommen. Die Luft ist frisch. Viele Plätze sind für Frauen und Senioren reserviert. Wir steigen aus der U-Bahn und finden uns in absoluter Geschäftigkeit wieder, im großen Basarviertel an der Horwrah-Brücke, wie wir später herausfinden. Hier beziehen die Einzelhändler Kalkuttas ihre Waren her und so sieht es auch aus.

Verschwitzte teils ausgezehrte, teils auch kräftige Männer in kurzen Hosen oder Dotis, den auch in Tamil Nadu gern getragenen Wickelröcken, mit Kisten, Ballen und Paketen auf dem Kopf, Fahrrad-Rikschas mit eleganten Fahrgästen, aber auch vereinzelte von Menschen gezogene Rikschas ziehen an uns vorbei. 

Wir wollen mehr von diesem Indien-Extrakt,  drängen uns durch den Strom hupender Autos, Laster, Busse und Mopeds auf die andere Seite einer breiten Straße in eine Gasse. Überall Lastenträger in Reihe hintereinander wie Blattschneideameisen winden sich durch die menschenvollen Straßen. Dazu bahnen sich  hochbepackte Fahrräder, Karren, und undefinierbare Gefährte ihren Weg. Verstaubte martialisch anmutende riesige Laster werden entladen.

 Rechts und links kleine Läden mit Obst und Süßigkeiten in baufälligen 5stöckigen Häusern aus viktorianischer Zeit, die Mauern teilweise abgestützt. Eine „The Day after“-Atmosphäre oder auch eine Zeitreise ins New York, London oder Hamburg um 18hundert. Wir trinken heißen Milchtee aus Einweg-Ton-Gefäßen an einer Ecke, die am matschigen Boden ihr Ende findet.

Unendliche Lagerräume erstrecken sich wie Termitenbauten in den Erdgeschossen baufälliger mehrstöckiger Häuser aus der Kolonialzeit.

 Stoffe, Früchte, undefinierbare Waren werden in großen Mengen eingelagert, um gleich wieder portioniert in den Besitz kleiner Händler zu wechseln. Der Duft von Räucherkerzen, Gewürzen, Garküchen mischt sich mit Spuren von Urin und den Abgasen der wendigen Motorräder. 

Alles ist unwirklich für westliche Augen. Über mehrere 3 spurige Straßen, die auf der Howrah-Brücke zusammenfinden und den ungeduldigen Verkehr darauf  zu führen versuchen, gelangen wir mit Mühe  an das Flussufer. 

Hier ist Ruhe. Männer in fleischfarbigen halbtransparenten Unterhosen oder hochgezogenem Wickelrock und Frauen in Saris waschen sich im schlammigen graubraunen Hoogli-Wasser. Es wird heilig sein, wie das, des Hauptstromes „Ganges“. Wir knipsen uns vor der Howrah-Brücke, die beide Kalkuttahälften verbindet.

In der gesamten Metropole scheinen sich nur sehr wenige westliche Menschen, bzw. überhaupt Touristen aufzuhalten. So fallen uns 2 chinesische ältere Paare auf, die sich sicher in diesem Ambiente in das alte China zurückversetzt fühlen und vielleicht mit der rasanten Entwicklung in ihrem Land vor Augen denken mögen, „was nützt mir die Demokratie, bzw. das Wahlrecht, wenn es dann so aussieht?“

Parallel zum Flussufer verlaufen Schienen. Der regelmäßig verkehrende Zug macht sich durch eindringliches Hupen bemerkbar und passiert diese Strecke mit großer Vorsicht im Schritttempo, um die vielen Frauen, Männer und Kinder, die die Gleise  ständig bevölkern, nicht zu gefährden. 

Eine Bahnstation am Fluss heißt „Garden Eden“ Hier wohnen viele Menschen direkt an den Gleisen in Verschlägen aus Pappe, Decken und Plastik. Halbnackte Kinder spielen wie selbstverständlich zwischen den Schienen, als wäre es das Bällebad eines Möbelhauses. Dieser „Garten Eden“ ist auch eine der ersten Stationen der Menschen, die vom Land vertrieben wurden und nun versuchen, hier neu anzufangen. Für manche auch die Letzte.

Wir laufen über von nicht zu verarbeitenden Eindrücken und Gefühlen, Stimmen, Geräuschen, Farben, Hupen, Düften und Undüften, von schönen Bildern und Unfassbarkeiten. Wir müssen da raus, aber das ist nicht so schnell zu machen.

Das viele Quadratkilometer umfassende urbane Zentrum der Metropole lebt in nicht gekannter mehrdimensionaler Intensität. Viele Häuser, aber auch die Bürgersteige, die Wasserrohre,  die Stromkabel, die Abwasserrohre, die Verkehrsschilder scheinen im Verfall begriffen, und werden einzig durch den Willen der Millionen Menschen, sich hier tagtäglich zu behaupten versuchen, und durch das Wurzelwerk unzähliger Bäume zusammen gehalten.

Hunderttausende Zuwanderer aus dem Umland kampieren auf den Bürgersteigen im  Zentrum, errichten dort Hütten in Sichtweite des Regierungssitzes, ziehen Mauern hoch, die sie mir Blech und Plastik gegen den tropischen Regen und die Sonne bedecken und versuchen sich in dieses filigrane Räderwerk einzufädeln meist durch einfachste Dienstleistungen.

 In jeder Nische, in winzigen Räumchen, Eckchen, Lücken, sitzen Köche, Händler und Handwerker im Schneidersitz zwischen ihren dampfenden Töpfen, aufgerollten Stoffen, offenen Farben, sauber gestapelten Zahnrädern, sorgsam aufgetürmten Obst und Gemüse und versuchen, dem Stoffwechsel menschlichen Lebens sicherzustellen und ihm dabei ein Quäntchen abzugewinnen, das für sie und ihre Lieben für das kleine Glück reicht.

Mehrfach erinnere ich mich an die Schusterwerkstatt meines Vaters in Quettingen, die dicken  Schichten getrockneten Leims  auf dem Arbeitstisch, den abgegriffenen Werkzeugen, dem Klebstoff-, Staub- und Ledergeruchs, dem Chaos, hinter dem sich eine für mich nicht erfassbare höhere Ordnung verborgen haben muss, da das Ganze 30 Jahre funktionierte und ihn und uns ernährte.

Wir orten eine Art „Lommerzheim“ mit Hilfe von Google, eine Rarität in der Stadt der Garküchen, in der man in wenigen Minuten im Stehen das Essen auf dem Bürgersteig runterschlingt. Hier können wir endlich einmal sitzen. Freundliche Kellner umsorgen die Gäste in der Geschwindigkeit Kölner Brauhäuser, nur freundlicher. Wir schlagen uns den Bauch mit Biryani, gut aufgegangenem Garlic-Naan und weiteren Köstlichkeiten voll. Bier und Wein gibt es nie, in dem Land, das wie Schweden, den Alkohol in vergitterte Shops verbannt hat und nur auf Dachterrassen-Restaurants in touristischen Regionen eine Ausnahme gestattet. Ein Taxi bringt uns  in unser „“ruhiges“ „Lake Garden“. Wir „crusen“ noch einige Tage durch diese besondere Stadt, lernen mit der S-Bahn auch moderne Viertel in der Peripherie kennen und dann sind die 7 Tage plötzlich um und wir müssen weiter. Auf uns wartet  Chennai.

Ich bedauere sehr, dass wir uns nicht mehr Zeit für unsere prominente Gastgeberin genommen haben. Als Organisatorin bedeutender Filmfestivals, befreundet mit bekannten Schauspielern und bedeutenden Regisseuren, vielfach mit ersten Preisen ausgezeichnet, hätte sie uns direkten Zugang zum modernen kulturellen Indien erschließen können. 

Vielleicht war alles auch zu viel in 7 Tagen, um zurückzutreten, durchzuatmen und  das Wesentliche in den Vordergrund zu rücken.

Authentisches Indien in Kalkutta und ein herzliches Wiedersehen

Wie sind wir bloß auf die Idee gekommen, uns ausgerechnet in Kalkutta zu verabreden? War es etwa der Romanautor Dominique Lapierre mit „Kalkutta – Stadt der Freude“, der so berührend und fesselnd den ungebrochenen Lebenswillen und das positive Lebensgefühl der Bewohner trotz schier aussichtsloser Zukunft, Armut und Hunger beschreibt? Dieses Buch ist so fesselnd, so spannend und berührend, dass ich nur jedem Westler mit Hang zum Nörgeln und Pessimismus empfehlen kann. 

Voller Vorfreude reisen wir also in die Stadt der Freude. Denn hier sind wir mit meiner Schwester, Saskia, und ihrem Freund, Jürgen, am 01. März 2019 verabredet. Wir freuen uns riesig aufeinander, denn nach so langer Zeit ohne Freunde und Familie fehlt es uns sehr, mit vertrauten Menschen zusammen zu sein.  

Saskia (Eves Schwester) und Jürgen – die Freude ist riesig, die Beiden in Kalkutta wiederzusehen

Für was ist Kalkutta eigentlich berühmt? Für Viele ist Kalkutta zum Inbegriff des Elends geworden, mit dunklen Gassen, in denen Menschen elendig verhungern. Und über allem schwebt Mutter Theresa in weißem Gewand und breitet ihre Hände gütig aus.Typische Assoziationen zu Kalkutta, oder?

Dass Kalkutta mal die Hauptstadt Indiens war und an einem der heiligsten Flüsse Indiens, dem Hugli (Hoogly), einem Seitenarm des Ganges liegt und voller Prachtbauten aus der Kolonialzeit ist, wussten wir vorher auch nicht. Später erfahren wir, dass Kalkutta, die heimlichen Kunst-und Kulturhauptstadt Indiens, sogar Autoren wie Rabindranath Tagore und berühmte Filmgrößen hervorgebracht hat. Nun, wir begeben uns mitten hinein in diese ambivalente und faszinierende Stadt, die sogar einst Indiens ehemaliger Premierminister Rajiv Gandhi (1984-1989) als eine sterbende Stadt bezeichnete. 

Der Ambassador … unverwüstlich und nicht wegzudenken im Straßenbild von Kalkutta

Der uralte gelbe Ambassador (Amby), der das Straßenbild von Kalkutta prägt, brummelt gewichtig über die Straßen. Mit seinem rundlichen Design, der durchgehenden Bank, die drei Plätze ermöglicht, einem großzügigen Kofferraum, einer weichen, ungeteilten Rückbank mit antik-roten Polstern und den vergitterten Rückleuchten, wirkt diese buckelige Limousine mit ihren Chromstoßstangen wie ein Schlachtschiff neben den kleinen Blechbüchsen. Ein Urgestein von Auto!

Gemächlich gelangen wir gegen Mitternacht in unser Viertel, Lake Gardens. Die große Wohnung, die wir über Airbnb gebucht haben, ist trotz Adresse – wie zu erwarten – schwer zu finden, zumal unser Fahrer kein Wort Englisch spricht. Wir gehen zu Fuß weiter, stehen erstmal blöd rum, wissen nicht weiter. Per WhatsApp gibt Saskia uns Hilfestellung. Wir laufen verwirrt durch das dunkle Viertel, bis wir sie am Ende der Straße entdecken. Mit Tränen in den Augen fallen wir Vier uns in die Arme. Es wird spät in dieser Nacht bis wir nach vielen Geschichten ins Bett fallen. 

Am Morgen fallen uns erst einmal die vielen Kunstwerke in unserer Wohnung auf. In welcher Stadt sind wir hier? Unterschiedliche Kunststile, Zeichnungen, Motive, Miniaturen und große Bilder zieren die Wände, wenn auch etwas zu dicht gedrängt und weniger ästhetisch platziert. Unsere Besitzer stammen wohl aus der Kunst- und Filmszene Kalkuttas. Wir staunen nicht schlecht. Die harten und alten Matratzen bekommen unseren Rücken nicht gut. Für den Preis von 80€ pro Nacht für uns Vier, was hier in Indien wirklich viel ist, hätten wir doch mehr von dieser Wohnung erwartet, die zwar reichlich Platz und jede Menge Sitzmöbel bietet, sogar über eine Terrasse verfügt, aber in puncto Sauberkeit und Betten noch Nachhilfe benötigt. In der Küche klebt eigentlich alles wie Schmiere. Aus den verstaubten Gläsern in der Vitrine möchte auch niemand trinken und die Anzahl der Kaffeetassen reicht nicht für uns Vier. Dass mir auch noch eine riesige Kakerlake im Bad entgegen kommt, bringt mich in nullkommanix auf den Stuhl und Rolf in die Rolle eines Kammerjägers, die er mit Bravour löst! 

Dennoch ist dies hier unser einziger Ruheort. Als wir am Vormittag ein Café zum Frühstück suchen, irren wir erst einmal durch das Viertel und landen meist vor noch geschlossenen Läden. Hier öffnet man erst ab 10 Uhr. Mein Magen knurrt schon seit geraumer Zeit, so dass ich das lange Warten und das Kopfschütteln der Inder im The Tavern Café nur mit missmutiger Laune ertragen kann. Gemächlich wird die Kaffeemaschine angestellt und die Bestellung mit verwirrendem Blick entgegen genommen. Das klappt doch niemals!

Unsere Hausbesitzerin hat uns erklärt, warum hier niemand Englisch spricht. Das kann ja lustig werden! Als nach ca. einer Stunde die Chefin, eine moderne, geschminkte Inderin kommt und die Fäden in die Hand nimmt, fluppt es. Kaffee kommt. Essen kommt. Komische Smoothies mit grellen Farben kommen auch. Nicht unbedingt das Bestellte! Egal. Wir haben alle Hunger. Natürlich möchte die Chefin, dass wir wiederkommen. Ein Selfie zum Abschluss, damit sie ein Foto für Ihre Homepage hat. Das brauchen wir nun wirklich nicht die nächsten fünf Tage. In dem kleinen und engen Supermarkt erwerben wir den gesamten Joghurt-Vorrat, Milch, Müsli und Kekse. Bier gibt es nur in den Alkohol-Shops, kleine, dunkle Läden, meist mit einem Gitterfenster und einer Luke, wo abends Männer in Gruppen anstehen und wo wir auf die indische Art des Anstehens zurückgreifen müssen – Ellbogen ausfahren und vordrängen – ansonsten würde man verdursten. 

Gestärkt und unternehmungslustig gehen wir zur Metro. Jemanden zu finden, der uns versteht, der uns sagen kann, wo wir ein- und aussteigen sollen, bringt uns immer wieder in netten Kontakt. Auch in der vollen Bahn selbst, werden wir bestaunt. Ist ein halber Platz neben dir frei, setzt sich ein Inder hin. Körperkontakt inklusive.  Von der Haltestelle „Mahatma Ghandi“ treibt es uns Richtung Hugli, der ähnlich wie der Rhein, Kalkutta in zwei Seiten teilt.

Anlieferung im Bazar

Ehe wir uns versehen, befinden wir uns an einer von alten dunklen Kolonialhäusern, die langsam in Würde verfallen, umgebenden Hauptachse wieder, auf der Waren aller Art auf Fahrzeugen und Menschen aller Art transportiert werden. Diese überqueren wir mutig und landen in den engen Gassen des Bara Bazars (Burrabazar), der sich von einem Garn- und Textilmarkt zu einem der größten Großhandelsmärkte entwickelt hat. Ein süßer Chai aus Tonschalen gibt uns Energie für das chaotische Gewühle hier im Bazar. Unsere Augen wissen gar nicht mehr, wohin sie zuerst schauen sollen. So viele neue Reize für alle Sinne. 

Masala Chai gibt‘s an jeder Straßenecke

Ein faszinierendes Flair, so authentisch indisch. Vor und in den fragilen, bröckeligen Häusern wird gekocht, gebraten, rasiert, gesägt, gebohrt, Haare geschnitten und verkauft. Blumenketten, Früchte, Gemüse, Stoffe, Saris, Handys, Töpfe, Ton und so vieles mehr. Ständig springen wir auf Seite, wenn hinter uns eins der unzähligen Lastenräder klingelt. Auf einer großen Holzlade transportieren sie Kisten so hoch wie ein Kamel, lange Bambusstangen, Mangos, Kartoffeln und vieles mehr. Auch auf dem Kopf tragen Inder Kisten durch die verwinkelten Gassen. Einem Ameisenhaufen gleich geht hier jeder seiner Arbeit nach. 

Am Ende hilft nur noch schieben …

Die Kreuzung an der Howrah Brücke zu überqueren, um zum Blumenmarkt und zum Flussufer zu kommen, ist die Mutprobe des Tages. An dem Ghat schlafen Inder im Schatten oder waschen sich im Hugli, der für die Bewohner eine große religiöse Bedeutung hat. Kalkutta liegt nämlich gar nicht am Ganges, wie dies in Vico Torrianis 50er Jahre Schlager heißt. 

Es wimmelt von Tauben, Taubenkacke und Müll. Wo ist denn hier mal ein Café oder ein Biergarten, um uns von den Gerüchen, Geräuschen und visuellen Zumutungen der Megametropole zu erholen. 

Waschen im Hugli

Schweißperlen rinnen uns über die Stirn. Doch kein Plätzchen in Sicht. So ist es in Kalkutta. Also weiter durch die Straßen, in denen wir immer wieder extreme Armut wahrnehmen. Hier leben Familien am Straßenrand unter einer Plane, in Hütten aus Pappkarton, Lehm oder Wellblech. Eine neben der anderen, den ganzen Gehsteig hinunter. Schmutzige Kinder spielen Cricket. Eine Frau sitzt jeden Tag in einem Müllberg an der Straßenecke in unserem eher wohlhabenden Viertel und sucht nach verwertbarem Müll. In der Parkstreet mit Starbucks, Apple, McDonald und Modeshops wird diese Frau niemals zu finden sein. So nah beieinander, so extrem. Bettler mit verkrüppelten Füßen oder Händen, Kinder oder Frauen mit Babys auf dem Arm betteln an roten Ampeln um Almosen. Als ich die Hälfte meines Mittagessens einem Bettler geben will, lehnt er ab. Es ist so unbeschreiblich, was wir hier an Eindrücken präsentiert bekommen. Das Straßenleben, die Bazare, die Ghats am Hugli … das sind unvergessliche Eindrücke. 

Der Müll wird nach Verwertbarem durchsucht

Mit dem Amby (Ambassador) brummeln wir zum Queen Victoria Memorial, das von einem großen Park umgeben ist. Das weitläufige, 1921 eingeweihte Queen Victoria Memorial aus weißem Marmor erinnert von seiner Form an den Taj Mahal. Den Eintritt fürs Museum (500IR/6€) halten wir für übertrieben, weswegen wir uns mit dem Park begnügen, in dem sich indische und bengalische Familien tummeln. Sitzen zusammen auf der Wiese, spielen, machen Sport und freuen sich über ein Selfie mit uns. Auf dem Plateau eines riesigen, verzierten Steinquaders thront auf einem Stuhl die Skulptur der ehemaligen „Königin von England und Kaiserin von Indien“, in den Händen Weltkugel und Zepter. Angesichts unseres Bedürfnisses nach Pause und Essen suchen und laufen wir wieder durch das laute Großstadtgewirr. So wenig Cafés wie hier haben wir noch nie gesehen. Doch Tante Google ist uns behilflich. Im Chai Café werden uns nach fast einstündiger Wartezeit endlich leckere Fritten mit scharfer Sauce serviert. Wir sind geschafft, wollen nur noch in unsere Ruheoase. Auf dem Rückweg holen wir am Alkohol-Shop unser Kingfisher-Bier und vergnügen uns damit bei der Stunksitzung. Ach, Karneval ist Köln, das ist Heimat!

Kononialhäuser kurz vor dem Verfall

Im Zentrum irren wir eher zwischen großen Kolonialhäusern herum, landen im Uhrenviertel und finden am Streetfood-Stand leckere gebratene Kartoffeln. Der Straßenrand ist gesäumt von erbärmlichen Behausungen aus Planen und Wellblech.  Mal wieder auf der Suche nach einem Restaurant ist das Arsana am Ende der Parkstreet eine gute Wahl. Flotte Kellner, viele Gäste und köstliche Gerüche sprechen für sich. Unsere letzte Sehenswürdigkeit, das Haus von Mutter Theresa, steht an. An einem Friedhof und Müllbergen, in denen Ziegen und Kühe nach Essbarem suchen, vorbei, erreichen wir die Einfahrt. Bevor wir in Mutter Theresas Haus eintreten, überrascht uns ein Barista mit dem köstlichsten Cappuccino in seinem kleinen Café. Diese Ruhepausen vom höllischen Straßenlärm sind so wichtig wie der Kaffee am Morgen.

Mutter Theresa Ordensgemeinschaft kümmerte sich um Sterbende, Waisen, Obdachlose und Kranke, insbesondere um Leprakranken. Am 5. September 1997 starb sie hier in Kalkutta. Das Haus beherbergt heute ihre Grabstätte, ihren Wohnraum, eine kleine Kapelle und eine Präsentation ihres Lebensweges und -werkes. 

Warum wird Kalkutta von seinen Bewohnern aber „Stadt der Freude“ genannt?

 Durch unsere westliche Brille betrachtet, ist das schwer nachvollziehbar, denn die allgegenwärtige Armut, die unzähligen Straßenkinder und Bettler sind erst einmal verstörend. Prunkbauten und Verfall, Ästhetik und Schmutz, Armut und Reichtum. Diese Gegensätze sind hier omnipräsent.  

Wer nach Kalkutta reist, ist hart im Nehmen. Denn Hotels, Restaurants, Cafés, Parks oder andere Orte der Ruhe hat Kalkutta wenig im Angebot. Dafür bietet es Extreme, wie wir es bisher noch nicht erlebt haben … extrem laut und schmutzig, extrem chaotisch und lebendig, extrem arm und heiß, extrem stinkig und überfüllt. Kalkutta wirkt so authentisch indisch wie kein anderer Ort in Indien, die wir bisher kennengelernt haben.   

Unser Abenteuer mit der indischen Post

Unsere warmen Sachen aus Nepal sollen zurück nach Deutschland, damit die Rucksäcke um ein paar Kilos erleichtert werden. Auf den komplizierten Ablauf hat uns meine Schwester vorbereitet, z.B. dass man das Paket vom Schneider einnähen lassen muss. Ein Karton bekommen wir von unserer Hausbesitzerin. Der Parcel-Service hier im Haus, der anfangs als einfache Lösung schien, nimmt fast 100€. So geht’s also nicht!

Demnach geht kein Weg an der indischen Post vorbei. Wir packen alles in den Karton, ohne ihn zuzukleben. Wir schätzen ihn auf 4 kg und ziehen mit starken Nerven im Gepäck los. Dass uns diese Aktion mindestens den halben Tag kosten wird, davon gehen wir mal aus. Bei der nächsten Poststelle sagt man uns, dass es hier nicht möglich sei, doch in der Poststelle in ca. 1 Kilometer sei dies möglich. Unsere Versuche ein Tuktuk zu bekommen, scheitern alle, weil  – was wir nicht wissen – die Straße über die Schienen führt, die mit ihren permanent geschlossenen Schranken jedes motorisierte Fahrzeug am Überqueren hindern. Gut, zu Fuß geht’s auch bis hinter die Schienen, wo uns ein Tuktuk zur Post bringt.

Anstellen, die Erste! Zwei gleiche Formulare sollen wir ausfüllen, was genau drin ist, wieviel jedes Teil wiegt und welchen Wert es in Rupien hat. Einen Kopierer gibt’s scheinbar nicht. In Rolfs Gesicht lese ich Verzweiflung und Ungeduld. Gleich gibt er auf und schmeißt die Brocken hier durch die indische Post! Geduldig packe ich unsere Sachen auf einen Stehtisch und bitte Rolf geduldig, die Teile auf Englisch zu beschreiben. Nur widerwillig geht er darauf ein. Ich schreibe: 1x Underwear, 1x T-Sirt usw. Wir schätzen das Gewicht und den Wert Pi mal Daumen. Die Werte übertrage ich auf das zweite Formular.

Anstellen, die Zweite! Der indische Beamte überprüft kritisch die Angaben und weist uns an, das Paket einnähen zu lassen. Dreißigste Minute! Wunderbarerweise sitzt direkt vor dem Posteingang der besagte Schneider, der geschickt und professionell den Karton zuklebt und geduldig den weißen Stoff zuschneidet und um das Paket näht. Mit einem Filzschreiber versucht Rolf auf dem rubbelnden Stoff die Adresse zu schreiben. Vierzigste Minute … das geht doch!

Das Paket wird erstmal zugenäht

Anstellen, die Dritte! Wir warten angespannt, während der indische Beamte alles in seine Computer eintippt. Das Paket mit 4,3 kg kostet nun 3000 IR/ca. 39€. „Fertig?“, fragen wir Vorsicht den Beamten. Als er nickt, lachen wir uns zu, klatschen uns ab. Fünfundvierzigste Minute. Wenn es einen Wettbewerb in „Indische Pakete schicken“ gäbe, hätten wir ihn ganz bestimmt gewonnen und zukünftig lächeln wir über die 15 Kilogramm-Beschränkung so mancher Airline.

Kalkutta – mehr als ein vor Dreck erstarrtes Armenhaus 

Das ehemalige Fischerdorf Kalikata wurde von den Engländern 1690 in Kalkutta umbenannt. Aufgrund der zahlreichen Handelsniederlassungen und des Zugangs zum Meer entwickelte sich Kalkutta zur Hauptstadt. Der florierende Handel brachte Wohlstand, viktorianische Prachtbauten und große Parkanlagen. Dieses koloniale Erbe ist bis heute spürbar, bildet es doch einen befremdlichen Kontrast.

In der Megametropole, die seit 2011 offiziell Kolkata genannt wird, leben mittlerweile rund 15 Millionen Menschen, inoffiziell schätzt man mehr als 30 Millionen. Wie Schiffbrüchige, die dem Hunger entfliehen, landen sie hier an. Jahr für Jahr. Damit hat das Elend Einzug gehalten, wofür sie Berühmtheit erlangt hat. Ihre koloniale Vergangenheit und ihre Bauwerke, ihre Kultur-und Kunstszene gerieten in Vergessenheit. Diese immer dichter werdende Besiedelung reduzierte den Platz pro Einwohner auf kümmerliche 3,7 Quadratmeter, wobei sich die vier bis fünf Millionen in den Lehm-, Wellblech- und Pappkartonvierteln mit einem Quadratmeter pro Kopf begnügen. Mangels Toiletten verrichten sie ihre Notdurft auf offener Straße. 

Für einen Großteil der Menschen der niederen sozialen Kasten ist jeder Tag ein Überlebenskampf. Sie hungern, schlafen auf der Straße oder unter Planen, arbeiten als Tagelöhner für ein bis drei Euro am Tag, meist ohne Arbeitsvertrag, d.h. ohne Rechte und Sicherheit, dass sie ihr Geld auch bekommen. 

Doch Kalkutta ist viel mehr, mehr als Armut, Elend und mehr als ein Haufen Scheiße, denn Kalkuttas kulturelle Vielfalt sucht Ihresgleichen in Indien. Sie beherbergt die größte Bibliothek mit rund neun Millionen Bänden, die landesweit größte Anzahl von Verlagen, zahlreiche Theaterbühnen und Museen und eine lebendige Filmszene, die ohne Kitsch und Tanz auskommt, stattdessen politischen und sozialen Lebensumstände kritisch hinterfragt. Die Plakate des internationalen Filmfestival sind allgegenwärtig. Am Victoria Monument werden Fotografien von Nachwuchsfotografen präsentiert. Mindestens 10 weitere Veranstaltungsorte werden in dem Flyer aufgeführt. Wer Lust und Zeit mitbringt, kann hier Filme und Fotografien von hoher Qualität erleben. Heute gilt Kalkutta als das geistige Zentrum Indiens mit einer hohen Alphabetisierungsrate. 

Das macht den Reiz Kalkuttas aus. Ja, die Stadt ist reich, reich an Kultur, reich an starken, widerstandsfähigen und kreativen Menschen, reich an Authentizität, an Faszination und Freude. 

Wer sich vorurteilsfrei auf all dies einlässt, wird jedenfalls reich belohnt.

Chennai – das ehemalige Madras

Die viertgrößte Stadt Indiens und Hauptstadt des Bundesstaates Tamil Nadu ist so anders als Kalkutta. Am Flughafen klappt alles wie am Schnürchen. Rolf bestellt ein großes Uber-Taxi, dass uns durch die gut ausgebauten Straßen, die von bunten Geschäften gesäumt sind, recht zügig in unser Viertel bringt. Weniger Müll, weniger Verfall, dafür modern, sauberer und bunt. Der Verkehr wirkt normal. Dass Chennai für die Filmindustrie ebenfalls eine große Bedeutung hat und sogar Bollywood überholt haben soll, erfahre wir erst später. In Chennai ist es ebenso heiß und schwül wie in Kalkutta. Auch am Abend bei unserer Ankunft im Hotel Broads Land rinnt uns der Schweiß, als wir unser Gepäck die steilen und engen Treppen hochschleppen. In dem Zimmer schlägt uns extrem heiße Luft entgegen, wie wenn du den Backofen öffnest. Wie sollen wir hier denn schlafen? Ein Bier würde uns helfen. Sechs Fensterläden öffnen, Ventilatoren einschalten, durchatmen … es ist nur für eine Nacht und für 6€ wollen wir nicht meckern. Tomorrow is another day!Das Bett mit harter Matratze steht fast mittig in dem geräumigen Zimmer, das Bad könnte eine Generalüberholung gebrauchen. Immerhin kommt Wasser aus den Leitungen.

Doch unser ehemalige Palast im Stadtteil Tripicane punktet mit einem besonderen Ambiente mit grünem Innenhof. Wir fühlen uns zurückversetzt in eine andere Zeit. Der marode Charme dieses alten Herrenhauses ist schon beeindruckend. Dass es direkt neben der großen Moschee liegt, hören wir erst in der Nacht, als per Lautsprecher zum Gebet gerufen wird. Die nahe Einkaufsstraße überrascht uns mit einer riesigen Auswahl an Restaurants, Geschäften und Cafés. Sogar gegrilltes Fleisch wird angeboten, was im mehrheitlich vegetarischen Indien seltener ist. Die Luft ist selbstverständlich schlecht und der Verkehr laut. Immerhin gibt es Bürgersteige, auf denen man teilweise laufen kann. Schließlich bemerken wir den hohen Anteil muslimischer Bewohner und ahnen, dass es hier kein Bier geben wird. In einem gut gekühlten Restaurant können Jürgen und Rolf ihren Appetit auf Fleisch stillen. Auf der Suche nach einem Nachttrunk landen wir in einer Secret Bar eines Hotels in der 5. Etage. Na, geht ja doch! Gewusst wo! 

Für mich wird diese Nacht grauenhaft. Moskitos umkreisen meine Ohren wie Motten das Licht. Ein quietschender Deckenventilator verteilte die stickige Luft im Raum. Ich fühle mich wie in einer Dampfsauna. Der Muezzin ruft lauthals zum Gebet. Ich sehne nur noch den Morgen herbei, denn die universelle Stadt Auroville, in der Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen zusammen in Frieden und Harmonie leben, wird eine berührende und intensive Bereicherung.

Rajasthan, Teil 2

Im zweiten Teil unserer Reise durch Rajasthan besuchen wir die Wüstenstadt Jaisalmer, erleben die Lady auf der Sänfte, besuchen die blaue Stadt Jodhpur und beenden unsere Radjasthan-Tour in Udaipur mit einem Kochkurs.

Wüstenstadt Jaisalmer

Während wir die größte Entfernung von über 400 km von Pushkar Richtung Westen nach Jaisalmer zurücklegen, verändert sich die Landschaft zusehends. Trocken und sandig, erdfarben und staubig, spärlich besiedelt und auffällig ruhig. Den bisher besten Lassi und leckerstes Butter Naan entdecken wir unerwartet an einem der üblichen Stopps auf dem Highway. Wir kommen besser voran als zuvor, da in dieser abgelegen Gegend keine Rushhour herrscht. 

Wie wird sie sein, die schönste Wüstenstadt mit ihrer Atmosphäre aus 1001 Nacht? Ob wir wirklich auf Kamelen reiten werden? Unterm Sternenhimmel in der Wüste schlafen, das soll’s schon sein.

Jaisalmer

Von weitem ist das Jaisalmer Fort oben auf dem Berg schon zu sehen, als wir nach acht Stunden zu unserem Hotel Shahi Palace kommen. Aus dicken Sandsteinmauern mit kleinen Rundbogenfenstern, einer schönen Dachterrasse gleicht das Hotel einem klassischen Haveli. Bis auf die zu harte Matratze und den Lärm in der Nacht, ist alles okay.

Am nächsten Morgen laufen wir zur bedeutendsten Sehenswürdigkeit der Goldenen Stadt. Über alte Kopfsteinpflaster passieren wir gigantisch hohe Torbögen in den riesigen Palastkomplex. Eine Kombination aus Orient und Mittelalter garniert mit bunten Tüchern, Wandbehängen und Kleidern. Wir können uns lebhaft vorstellen, wie die Maharadschas hier früher auf Elefanten hineingeritten sind. Die alte Karawanenstadt, die früher an der wichtigen Handelsroute zwischen Indien und Arabien bzw. Europa lag, kam im Mittelalter zu immensen Reichtum.  Durch den Ausbau der Häfen und anderer Handelsrouten nahm deren Bedeutung ab. Heute spielt der Tourismus besonders von November bis März eine entscheidende Rolle. Ab April steigen die Temperaturen auf ca. 50 Grad, gepaart mit heißen Wüstenwinden. Unser Kellner sagt,  die Touristen hielten sich nur noch in klimatisierten Räumen auf, nicht mehr hier auf dem Rooftop. Wir haben schon die angenehmste Reisezeit gewählt.

Unser Rooftop im Hotel Shahi Palace

Der Ausblick von dem mauerumgebenden Fortbereich in die sich ausbreitende Thar-Wüste lässt erahnen, wie es weiter Richtung pakistanische Grenze aussieht. Uns gefällt besonders die Lebendigkeit dieses Forts. Eben nicht nur Steinmauern ohne Leben. Zahlreiche Havelis, Tempel, Wohnhäuser und Geschäfte säumen die engen Gassen und geben zahlreiche Fotomotive ab. Ständig könnte ich stehenbleiben und fotografieren. So viele Motive auf engstem Raum. Doch am liebsten sind uns die Menschen, besonders die in farbenprächtigen Saris gehüllten Frauen und die wilden Kinder. Auch die Rajputis  – Einwohner Rajasthans – mit ihren roten, weißen und blauen kunstvoll gewickelten Turbanen geben ein prächtiges Bild ab. Für uns ein absoluter Höhepunkt unserer Rajasthan-Rundreise. Im Trio Restaurant in der Unterstadt gönnen wir uns eine Pause und essen köstliches Biryani. 

Steinmetzarbeiten in Jaisalmer

Durch die Straßen zu laufen ist in Indien kein Vergnügen. Das ständige Ausweichen von Hindernissen, kombiniert mit Lärm und dem chaotischen Treiben ist anstrengend, so dass ein Tuktuk oft die Rettung ist.

Im Desert Culture Center, das von dem 82jährigen Mr. Sharma privat betrieben wird, wird die Lebensweise und Kunst von Jaisalmer ausgestellt. Indem er über Jahre Musikinstrumente, Küchengeräte, traditionelle Kleidung, Bücher, Werkzeuge und Schmuck der Rajputis gesammelt hat, trägt er zum Erhalt dieser alten Rajasthani Volkskunst bei. Jeden Abend wird ein Puppentheater (Marionetten) gezeigt, dass die Tänze und Geschichte Rajasthans mit Hilfe traditioneller Instrumente darstellt. Nach 30 Minuten ist Mr. Sharma persönlich für Fragen ansprechbar. Da der Eintritt mit 100 IR (1,30€) recht gering ist, besteht die Möglichkeit zu spenden. Eine sehr unterstützenswerte Arbeit. 

Auch der Gadisar See ist eine Sehenswürdigkeit in Jaisalmer. Das Ufer ist von kunstvoll geschnitzten Chattris – kleine, seitlich offene Pavillons mit von Säulen getragenen Kuppel – Tempeln und Ghats umgeben. Ausnahmsweise ist dieses Wasser hier wohl nicht heilig! Die Säulengänge und Bogenfenster sind meine liebsten Fotomotive. Als wir die Kreuzung zur Altstadt überqueren, sehen wir auf der anderen Straßenseite ein Bett mit einem alten Mann. Mitten drin im Verkehrschaos an der Hauptstraße! Ob er hier tatsächlich schläft? Unglaublich! 

Ein Bett mitten im Verkehrschaos

Der letzte Abend mit seinem blauen Himmel taucht den gelben Sandstein der Häuser und des Jaisalmer Forts in unzählige Goldtöne. Vom Rooftop unseres Hotels sehen wir das Fort leuchten wie nie zuvor. Die Musik aus ohrenbetäubenden Boxen unterbricht unsere beschauliche Ruhe. Ein ganzer Hochzeitszug mit Trommlern zieht nicht nur durch die Gasse, nein, auch mitten durch unser Hotel. That’s incredible India! 

Der Duft von Indien

Ach ja, und natürlich riecht es oft streng, unangenehm, ekelig. Kühe, Ziegen, Hunde und Männer pinkeln überall hin. Ständig macht sich einer die Hose gerade auf oder zu. Beißender Uringestank in den engen Gassen. Wie sich daneben ein Klamottenshop halten kann, ist uns ein Rätsel! Auf den Toiletten halte ich einfach die Luft an und mit meiner Sonnenbrille sehe ich zum Glück weniger. Kühe durchstöbern Müll, reißen Beutel auseinander, verteilen alles auf der Straße. Müll ist allgegenwärtig. Unser Blick immer schön auf den Boden gerichtet.

Rolf mit seinen Flipflops rutscht auf einem Fladen aus, fängt sich aber wieder. Good luck! Die Wasserrinnen und -pfützen neben der Straße gleichen einer Giftbrühe, wie Seifenlauge mit Essenresten. Wenn eine Rinne verstopft ist, kommt ein Reinigungstrupp und pult den Schmodder raus, aber der Kloakengestank ist allgegenwärtig. Manche Flüsse können vor lauter Müll nicht mehr fließen. Unbebaute Plätze gleichen Müllhalden. Menschen sitzen daneben und spielen Karten. Incredible! 

Doch genauso gehört der Geruch von Patschouli und Räucherstäbchen zu Indien wie der duftende Chai. Das Anbraten der Magic Sauce, der Mutter aller Currys, mit Kreuzkümmel, Koriander, Chilli, Fenchel, Oregano, Kurkuma, Knoblauch und roten Zwiebeln ist ein Hochgenuss für unseren Geruchssinn. 

Kamelreiten in der Tharwüste

Die 40 Kilometer in die Tharwüste führen über eine einspurige, schnurgerade wellenförmige Straße, die meine Magen in Unruhe versetzt, zumal die entgegenkommenden Jeeps mit höchster Geschwindigkeit entgegenkommen. Warum haben die es denn bloß so eilig? Immer voll Speed scheint hier ein Markenzeichen zu sein! 

Für Schafe, Ziegen und Kühe bremst Mr. Singh wie aus heiterem Himmel. Die trockenen Bäume und dornigen Büsche, die hier auf dem ausgedörrten Boden überleben, bieten den Ziegen und wilden Kühen sogar noch Futter. Hin und wieder taucht ein Brunnen auf, an der Inderinnen mit einem Krug Wasser holen. Wie sie den Krug mit einem Arm auf dem Kopf elegant transportieren, in ihren farbigen Saris vor braunem Wüstensand … ein fantastisches Bild. Wir befinden uns nun im Halbwüstengebiet der Thar-Wüste, östlich des unteren Indus, mit 3180 km der längste Fluss auf dem indischen Subkontinent und wichtigster Strom Pakistans. Nur wenige kleine Oasen/Orte tauchen am Horizont auf. 

Im Registhan Resort, das am Rande der Sanddünen liegt, werden wir am Nachmittag herzlich mit einem Chai empfangen. Übernachten können wir draußen unterm Sternenhimmel oder in einem großen Zelt. „It’s up to you“ bekommen wir wie so oft zu hören. Das Bett würden sie uns dann nach draußen stellen. Sogar Bad und Strom ist da!

Da ich etwas aufgeregt bin, auf ein Kamel zu steigen, beschließe ich, mich schon mal mit ihnen anzufreunden. Drei Kamele liegen bereits vor dem Eingang auf dem großen Platz. Nach und nach kommen Kinder auf Kamelen im Galopp aus unterschiedlichen Richtungen angeritten. Mir bleibt die Spucke weg! Ich erfahre, dass Familien ihre Kamele verleihen, um damit Geld zu verdienen, denn Arbeit gibt es hier in der Wüste kaum. Ich schleiche um die liegenden Kamele herum. Ihr schlabbriges Kinn bewegt sich hin und her und ab und zu ertönt ein lautes Blubbergeräusch, wie in einem Abfluss. Was ist das? Woher kommt das komische Geräusch? Ich drehe mich zu dem Kamel und sehe eine riesige, dicke, blaue Zunge aus dem Kamelmaul hängen. 

Vorher …
… nachher.

Ihre Gesichter wirken freundlich und entspannt, der Blick mit den langen buschigen Wimpern wirkt verträumt, wofür das Nasenpiercing ist, weiß ich noch nicht. Die Sättel mit ihren dicken Decken sehen auch bequem aus. Nach und nach trudeln ca. 20 Kamele ein. Mein Kamel wird mir vorgestellt. Ich bitte Rolf zuerst aufzusteigen. Bewundernd schaue ich ihm zu, während Mr. Singh das Ganze filmt.

Dann komme ich dran. Oh weh, mein Herz klopft immer schneller, meine Hände schwitzen.Mit dem linken Bein hole ich Schwung und paff! Mein Schienbein knutscht den Sattel! Aua! Keine Zeit für Aua, also zweiter Anlauf. Mein Po will noch nicht so ganz rüber rutschen. Mein Helfer traut sich scheinbar auch nicht, diesen anzufassen und nachzuschieben. Nun gut, ich sitze, umklammere den Knauf fest und lehne mich weiter nach hinten als notwendig. Die Hinterbeine des Kamels richten sich auf … ich beginne zu zittern, okay, das geht ja so grade noch, doch dann kommt’s … die Vorderbeine gehen hoch in den Himmel und Stresshormone durchfluten meinen Körper.

Ich höre mich nur noch „No, No, No …!“ rufen … das geht nun wirklich nicht, diese Höhe ist mir zu viel, unvorstellbar dass ich zwei Stunden hier oben verbringen soll, und dann noch schaukelnd … so wird das Kamel wieder nach unten geordert und ich steige zitternd ab. Der Karren wird herangeschafft, ich klettere hinauf und werde vorneweg gefahren, während Rolf so mutig auf seinem Kamel hinter mir her schaukelt und sich lustig macht. Die Lady auf der Sänfte!  

Unser Kamel-Mann (den Namen haben wir leider vergessen) erzählt uns, dass es hier kaum Arbeit gebe und er nur vier Stunden am Tag arbeite. Jeden Tage diese Kameltour. An den Sanddünen angekommen, laufen wir hinunter zu den Dünen, schießen Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven und genießen das Farbspiel im Wüstensand … die wie eine Perlenkette aufgereihten Kamele auf der Düne, die weichen und runden Wellen der Sandhügel mit ihren symmetrischen Mustern des Unberührten im warmen Lichtspiel der untergehenden Sonne … wie verzaubert sitzen wir einfach nur da. Mit der untergehenden Sonne wird es auch sofort kalt. Als wir gemächlich zurückschaukeln, fragt unser Kamel-Mann Rolf: “Do you want run?“Witzbold … „No!“

Die Tänzerin bei der abendlichen Tanz- und Musikdarbietung kann unfassbar schnell mit ihren Hüften und Brüsten wackeln und zittern. Ihr Kostüm ist berauschend schön mit Silberplättchen und Glöckchen, bunt im Rajasthani-Style. Sie bittet alle Frauen auf die Tanzfläche. Oh weh, wie soll ich das denn bloß hinbekommen? Zwanzig Frauen geben ihr Bestes. Wir ahmen Sie soweit wir können nach. Doch ihr Tempo, ihre Energie und ihre Eleganz sind unbeschreiblich. Wann hören die Trommelspieler denn endlich auf und erlösen uns von dieser peinlichen Show? 

Dylans Guesthouse in Jodhpur 

Für 6€ pro Nacht haben wir bisher auch noch nicht übernachtet. Wir sind gespannt! Wieder eine Altstadt mit engen Gassen, die für Autos weniger geeignet sind. So steigen wir um in ein Tuktuk, das sich wie eine Schlange durch dieses verwinkelte Chaos windet, oft nur mit Millimeter-Abstand zum nächsten Moped oder Haus. Die Maharadschas der Straßen sind die Moped- und Tuktukfahrer, die mit übergroßen Ladungen alles aus dem Weg hupen. Frei nach „Ich hupe, also bin ich“ rasen sie rücksichtslos in die Menge.

Selbstredend ist der Name des Guesthouses Programm. Zu Bob Dylans Klassikern ist der Ausblick auf das riesige Fort und die blaue Stadt besonders romantisch. Das Bad ist so klein, dass wir uns den Kopf an der Wand stoßen, wenn wir auf der Toilette sitzen. Die Armaturen der Dusche erfordern besonderes Geschick bei der Einstellung des Wassers, das meistens aus beiden Hähnen gleichzeitig läuft. Doch für den Preis wollen wir nicht meckern und greifen auf das altbewährte Mandi zurück. Unser Viertel ist so richtig indisch, so dass der Alltag hier ungeschminkt zum Vorschein kommt. Neben Ziegen, Hunde und Kühen sitzen ältere Menschen im Hauseingang, Kinder spielen Kricket und Frauen klappern mit den Metalltöpfen. Wir schlagen uns durch die gelb-schwarze Tuktuk-Gang bis ins Curry-House, wo wir köstliches Palak Paneer und Curries bekommen.

Jodhpur, die blaue Stadt

Wie zu erwarten hat Jodhpur, die ehemalige Hauptstadt des Rajputenstaates Marwar, ebenfalls mehrere Paläste, Tempel und Festungen zu bieten. Wegen seiner blauen Farbe an den Häusern, die die Zugehörigkeit zur Kaste der Brahmanen kennzeichnet, ist Jodhpur berühmt. Aber auch für seine Festungsanlage, das Meherangarh Fort. Hoch oben auf einem 140m hohen Felsberg, umgeben von einer 10 km langen Mauer ragt es aus der Stadt wie eine mächtige Trutzburg hervor. Obwohl es das beeindruckendste Fort von ganz Indien sein soll, zieht es uns nicht in seinen Bann. Uns fehlt das quirliges Leben wie im Fort in Jaisalmer.

Nach einem Spaziergang durch die Höfe und den Park zieht es uns zurück in die lebendige Altstadt hinter dem Uhrturm (Clocktower). Konnten wir etwa ahnen, dass das bunte indische Marktleben hier bei uns freudige Erregungen auslöst? Wir können uns gar nicht mehr sattsehen an dem Farbenrausch der Saris und Stoffe, an den Pferdekutschen, den Fahrradläden ohne jegliches HiTec, den Haushalts-Krims-Krams. Mit scharfen Pakhoras (Teigbällchen mit Gemüse) gestärkt treten wir den Rückweg an, vertreiben uns die Zeit auf den Dächern dieser schmutzigen und lauten, aber dennoch beeindruckenden Altstadt. 

Wir sind ein geiles Team!

Auf den Dächern von Udaipur

Die weiße Stadt Udaipur besticht durch ihre Vielzahl von Dachterrassen mit Blick auf den Pichola-See. Der City Palast ist zwar berühmt, doch wir sind so satt von all den Festungsanlagen und Palästen, dass wir nur noch sein wollen. Eine Ayurvedische Massage, etwas Fußpflege und ein Kochkurs bei Shashi füllen unser Programm zu genüge aus. Da Frauen in Nordindien weder Schultern noch Knie zeigen, bin ich mit meiner einzigen langen Hose etwas eingeschränkt. In den Geschäften hier gerate ich ins Schwärmen, kann mich kaum entscheiden und finde letztlich einen Rock, ein paar bunte Tuniken und Leggins. Ein wunderbarer Schneider ändert die Tunika an nur einem Tag von Größe 38 auf 42. Sofort fühle ich mich in meiner lila Leggins mit pink-lila-weißer Tunika so wohl, dass ich die Kombination nur noch nachts ausziehe. Rolf verzichtet auf eine Neueinkleidung. 

Blick über den Pichola See auf Udaipur von unserem Rooftop

Magic-Sauce bei Shashi

Mit Feuereifer überzeuge ich Rolf von dem indische Kochkurs bei Shashi, einer älteren Frau, die vor ca. 8 Jahren nach dem Tod ihres Mannes aus der Not heraus mit Kochkursen angefangen hat. Da der Kurs erst am späten Nachmittag um 17:30 beginnt, lauschen wir mit knurrendem Magen Shashis Lebensgeschichte. Wann fangen wir endlich an? Hätte ich doch nur vorher etwas gegessen! Außer uns nimmt noch eine junge Frau aus Israel teil, deren Mutter zwar anwesend ist, aber Kochen hasst und sich daher aufs Zuschauen beschränkt.  

Shashi leitet an

Endlich starten wir mit der Herstellung des Koriander-und Mango-Chutneys. Die Pakhoras in zwei Varianten schmecken köstlich dazu. Die drei Inder, die sich am Tisch lauthals auch mit ihr unterhalten, geben uns Rätsel auf. Der etwas Kräftigere ist ihr Sohn, der ihr assistiert. Shashi’s didaktisch-methodische Vorgehensweise zwingt uns in eine eher passive Rolle, dabei wollen wir doch alles selbst machen. Während sie knetet, wendet und rührt, leitet sie uns an wie beim Militär. „Mix it!“ oder „Come here“ oder „Turn back“. Etwas gewöhnungsbedürftig. Glücklicherweise sind wir nur zu Dritt, sonst hätten wir noch weniger zu tun. Wir fügen uns brav ihren Anordnungen, mixen, drehen, kneten und lernen letztendlich eine ganze Menge über die indische Küche, nämlich …

  • wie fluffiger Reis gekocht wird,
  • dass eine Magic-Sauce die Grundlage für alle Currys ist,
  • dass Naan ungesünder ist als Chapati,
  • wie man Chapatis brät,
  • wie wunderbar die indische Masala Dabba ist,
  • dass Backpulver Kichererbsen schneller weich werden lässt,
  • welche Bedeutung Asafoetida (auch Teufelsdreck genannt) hat und dass es auch in Pappadams enthalten ist, die als Snack überall gereicht werden und 
  • wie Paneer hergestellt wird … und so vieles mehr.
Die Grundausstattung: Kurkuma, Kreuzkümmel, Fenchel, Marsala, 2x Chili, Kardamon,

Hier ein Beispiel (auf Englisch) von Shashis Sohn zur Bedeutung von Asofoetida (Teufelsdreck oder Hing):

„In Pappadams are also Hing. Hing procures that the gas goes out. So you eat more.That’s business. So you feel good and you eat more. Hing is good for your stomach and business,“ 

Auf Deutsch: „In Pappadams (eine Art Knäckebrot) ist auch Hing enthalten. Es bewirkt, dass die Luft aus deinem Körper kommt. So kannst du mehr essen. Das ist ein gutes Geschäft. Du fühlst dich gut und isst mehr. Hing ist gut für den Magen und das Geschäft!“

Aber auch die für Indien typischen Leitsätze „No Problem“ und „ Everything is possible“  werden uns noch eine Zeitlang begleiten. 

Die Küchencrew mit Shashi und ihrem Sohn

Abschied von Rajasthan 

In Udaipur endet nun unsere Rajasthan-Tour. Über 1500 Kilometer durch das Land der Maharadschas, Paläste, Festungsanlagen und Wüste liegen hinter uns. Der Slogan des Touristenverbandes Incredible India“ trifft den Nagel so was von auf den Kopf. Wenn uns andere Reisende zum Abschied einen schönen Urlaub wünschen, stutze ich, denn Urlaub ist das wahrlich nicht. Urlaub verbinde ich mit Entspannung und Easygoing, am Strand faulenzen und lesen, lecker essen und sich um nichts kümmern müssen.

In Indien zu reisen ist unser Vollzeit-Job, herausfordernd, anstrengend, kompliziert und interessant. Indien verlangt viel von dir! Aber Indien bietet auch von allem etwas … Indien verstört und gefällt … Indien ist arm und reich … Indien stinkt und duftet … Indien schmeckt und ekelt … Indien ist extrem! Womit belohnt es dich? Mit den Menschen, die zwar auf den ersten Blick nicht freundlich erscheinen, doch, wenn du sie näher kennen lernst, entdeckst du ihre Liebenswürdigkeit, ihr Schicksal, ihre Probleme und ihr Karma.

Wenn du in Indien reist, veränderst du dich unweigerlich. Du überdenkst deine Sichtweisen, erweiterst deine Perspektiven und wirst dankbarer. Du setzt andere Prioritäten. Auch Indien hat seine Schattenseiten. Keine Frage … Umweltverschmutzung, Armut, die Stellung der Frauen, das Bildungssystem, Korruption, Überbevölkerung, Gesetze, die keiner beachtet … alles ist möglich in incredible India  selbst der Anbau von Opium! Doch genau das macht einen Großteil der Faszination aus! 

Abschied von unserem Fahrer Mahendra Singh. Wir hatten eine schöne Zeit!

Weiter geht’s nach Kalkutta, eine Stadt, die nicht auf der üblichen Touristen-Route steht und mit 15 Millionen Einwohnern bestimmt wieder Einiges zur Horizonterweiterung anzubieten hat … Eines vorweg: Es wird anstrengend!