Ein Beitrag von Eve und Rolf
Camping No Stress heißt unsere nächste Station. Was das bedeutet, werden wir noch erfahren …
Nach 13 Tagen brechen wir auf. Schweren Herzens, doch auch mit einem Sack voll Lust auf Neues. Noch einmal zum Caffè an den See mit Enten, Blesshühnern und Graureihern, die Schildkröte lässt sich heute nicht blicken. Packen und verabschieden, bedanken und losfahren. Wir kommen wieder, ganz bestimmt!
Wir folgen dem bereits vertraut gewordenen Radweg nach Menaggio, erkämpfen unseren Platz auf der belebten Straße gen Süden. Das schwere Rad am rechten Rand in der Balance zu halten, wenn LKWs, Busse und SUVs mit zu wenig Abstand überholen, ist anstrengend und nervig. Rolfs Stinkefinger mit einem lauten „Stronzo“ ist eindeutig. Prachtvolle Villen mit unfassbar großen Gärten hinter den Mauern reihen sich rechts von der Straße aneinander. Es geht hoch und runter ohne Schatten und viel Sonne. In dem schönen Argegno schütteln wir bei einer Lemon-Soda Pause unsere Druckstellen aus und kühlen die Köpfe. Die letzten Kilometer bis zur Fähre in Moltrasio entlohnen für diese Anstrengung. Denn eine Nebenstraße führt über die alte Küstenstraße, vorbei an uralten Häusern und Gärten. Kleine blumenbewachsene Fußgängerbrücken verbinden die beiden Seiten rechts und links der Straße. Genuss pur hier zu radeln.
Da die Fähre nach Como erst in einer Stunde abfährt, nutzen wir die Pause für ein überaus köstliches Mittagessen im Restaurant gegenüber. Meine Ravioli mit Pinienkernsoße und Rolfs Pasta mit Wildschweinragout samt Weißwein sind ein echter Gaumenschmaus.
Aufgrund des angekündigten Unwetters für den nächsten Tag, recherchieren wir Hotels in Como. Das Bellavista Boutique-Hotel in Brunate, dass ich bei meinen Recherchen als hervorragendes Restaurant mit Blick auf den See gefunden hatte, wurde plötzlich wieder aktuell.
Eigentlich hatte sich unser Plan, dort essen zu gehen erledigt. Die insgesamt 1000 Hm mit bis zu 20 % Steigung vom Campingplatz zum Restaurant war uns des Guten zu viel – aber wir waren doch auf Flitterwochen! Warum also nicht auch eine Übernachtung im Bellavista einplanen. Nicht unbedingt unsere Preisklasse – aber wir waren uns einig: „Das gönnen wir uns!“ Eine Standseilbahn könnte uns samt Rädern die 500m nach oben bringen. Das sollten wir in Como erfahren.
Über eine Rampe schieben wir die Räder auf die Fähre, die uns im Zickzack über den See nach Como bringt. An der Station der „Funicolare Brunate“ erfahren wir, dass wir die Räder mitnehmen können. Na, dann wird das ja ganz easy – dachten wir …!
Die letzte Etappe für heute hat es noch mal in sich. Hinter Como erwarten uns so steile Berge, die wir in praller Sonne schiebend bezwingen. Bei tosendem Verkehr ackern wir uns durch dieses Industriegebiet, überqueren große Kreuzungen und Kreisverkehre. Schön hässlich ist es hier. Wo soll hier bloß „Camping No Stress“ sein? Die Bewertung „Horrorcampingplatz“ auf Google lassen Schlimmes erwarten. Kein Bier weit und breit, die Bar geschlossen. Die Not ist groß. Ich weiß, was ich zu tun habe. Bier besorgen – egal wo. Der nächste Lidl hat kein kaltes Bier, der zweite Supermarkt auch nicht. Erschöpft und hungrig, genervt und abgekämpft, finde ich beim „Ingresso“ – eine Art Mega-Supermarkt – kaltes sardisches Ichnusa, löse am Ausgang versehentlich die Alarmanlage aus und schwinge mich aufs Rad. Gerettet!
Statt Abendessen füllt Bier unseren Mägen. Merkwürdige Gestalten, die ihren festen Wohnsitz in den Holzhütten haben, huschen über den Platz, der so lieblos und abgewrackt daherkommt. Ein Pool ohne Wasser, Toilettentüren, die nicht schließen, Überschwemmung in der Dusche. Also, wer hat hier No Stress? Der Besitzer – sonst wohl keiner! Im Hintergrund dröhnt die Autobahn, doch dank Ohrenstöpsel und Erschöpfung schlafen wir tief und fest. Camping zum Abgewöhnen (aber nur vorrübergehend)!
Umso größer ist die Vorfreude auf das Bellavista-Hotel. Wenn nur die Standseilbahn nicht wäre! Doch was ist eine Standseilbahn? Meine Recherche ergibt, dass die stufenförmige Bauweise den Passagieren ein Vornüberkippen verhindert, während sie waagrecht sitzend oder stehend diese steile Fahrt mit fantastischem Ausblick genießen können. Immerhin werden ca. 500 Höhenmeter in ca. 10 Minuten überwunden.
Aber zuerst widmen wir uns einer unserer Lieblingsbeschäftigungen: In einer Bar frühstücken, d.h. Cappuccino und Brioche, am liebsten gefüllt mit Konfitüre – und dabei das morgendliche Treiben italienischer Art beobachten.
Dass nur über Treppen eingestiegen werden kann, findet hier keine Erwähnung. Um so entsetzter reagiere ich auf die vor uns liegende Herausforderung. Voll beladene Räder die Treppe hoch schieben … wie soll das denn funktionieren?
Unmöglich! Rolf eilt mir zu Hilfe, ich ziehe das Rad hoch, eine kleine Touristin mit großem Hut drängelt sich auch noch an mir vorbei, mit aller Kraft hebe ich das Rad hoch, geschafft, keiner rückt zur Seite, die Verdrängerin, eingezwängt zwischen Tür und Radtasche, fummelt ihr Handy raus – Handy geht immer! Ich könnte ihr so eine in die Fr*** hauen! Mit Maske und Brille – so heiß – während sich die Schweißperlen ihren Weg nach unten bahnen, bete ich, dass alles gut geht angesichts der unlängst abgestürzten Gondel am Lago Maggiore. Auch der Ausstieg erfordert wahre Kraftkünste. Stress pur! Glücklicherweise bietet ein Mann seine Hilfe an und Rolf ist auch gleich zur Seite. Wie hat er das nur geschafft? Die paar Höhenmeter zum Hotel sind nur noch ein Klacks.
Das Bellavista empfängt uns mit offenen Armen. Sogar unsere Rädchen werden sicher untergestellt. Das von einem berühmten Koch 1896 eingeweihte Hotel im Jugendstil-Design diente einst dem Mailänder Großbürgertum als Urlaubsdomizil und versprüht genau diesen Charme. Ein kleines feines Zimmer mit weißen Handtüchern und Bettdecke wird uns für eine Nacht ein Höhepunkt unserer Reise.
Der Orangen-Fenchelsalat und die Basilikum-Tagliatelle auf der Terrasse mit Panorama-Blick entsprechen dem Dolce Vita in Bella Italia. Als grau-schwarze Wolken am Nachmittag aufziehen, beeilt sich ein jeder Unterschlupf zu finden. Und schon donnert es los, in den Bergen mit verstärktem Sound, wir glücklich im trockenen Zimmer, während sich draußen der Himmel über Como ergießt.
Das Unwetter mal nicht nur durch eine dünne Zeltwand geschützt zu überstehen, genießen wir. Pünktlich zum Abendessen kommt die Sonne wieder heraus und wir gönnen uns ein opulentes Abendessen inkl. großartigem Blick über den Comer See. Die Nacht in einem komfortablen Bett zu verbringen, ist jetzt auch nicht das Schlechteste. Zum Abschluss gibt’s noch ein reichhaltiges Frühstück und über die zu begleichende Rechnung hüllen wir mal den Mantel des Schweigens – aber sind ja schließlich unsere Flitterwochen …