Nun sind wir zurück … seit genau 30.05.2019, denn unsere Reise haben wir früher als geplant beendet. Eigentlich wollten wir Mitte Juli wieder in Deutschland sein, den Juni noch in Marokko verbringen. Doch Ramadan und Marokkos unerträgliche Hitze haben uns nach Spanien auswandern lassen. Zudem werde ich mich um meine Mutter kümmern, die seit ihrer Knie-Operation mehr Unterstützung benötigt. Des Reisens etwas müde geworden, ergibt es mehr Sinn, sich um die Familie zu kümmern. Eine kranke Mutter, ein fünftes Enkelkind, Sehnsucht nach Freundinnen. Der Grenzübertritt von Tanger nach Tarifa beeindruckt mich sehr, denn wir werden freundlich durchgewunken. Kein Stempel, kein Geld, kein Fingerabdruck, keine böse Miene, kein Visum, einfach nichts. Kopfnicken und weiter geht`s. Rolf klärt mich auf „Wir sind in Europa!“ Mir kommen die Tränen.
Während wir mit dem Bus von Algeciras zum Flughafen nach Malaga fahren, um dort einen Mini zu mieten, fällt mir die Lebensfreude der Menschen und die Sauberkeit der Straßen auf. Jeder kann hier tun, was er möchte, egal ob essen, (Bier/Wein) trinken, im Bikini oder oben ohne am Strand liegen, im kurzen Kleid durch die Stadt gehen … das ist Freiheit, die ich lange vermisst habe. Wie glücklich können wir uns schätzen, hier in Europa geboren worden zu sein, besonders als Frau. Ich bin so dankbar für unsere Bildungsmöglichkeiten, unser Gesundheitssystem und für unsere großes soziales Netz aus Familie und Freunden.
Besuch von zu Hause
Ich hätte vorher nicht gedacht, wie wichtig Besuch von zu Hause sein kann. Endlich mal wieder mit vertrauten Menschen quatschen, nicht immer nur Traveller-Gespräche, die sich häufig um die gleichen Themen drehen.
Im Dezember haben wir uns mit Frank auf Palawan/Philippinen getroffen und haben El Nido fluchtartig verlassen. Gemeinsam haben wir eine sehr abgelegene und geheime Bucht auf Palawan gefunden, in Port Barton einen traumhafte Schnorcheltrip gemacht und Franks Drohnen-Fotos schätzen gelernt. Zum Blogbeitrag …
Mit Frank haben wir uns auf Palawan, Philippinen, getroffen. …
Ganz gespannt waren wir Ende Februar auf meine Schwester und meinen Schwager in Kalkutta. Von unserer AirBnB-Wohnung aus erkundeten wir fünf Tage lang die indischste Stadt, die wir bisher erlebt haben. Laut, wuselig, beeindruckend, chaotisch, untouristisch … es folgte der Süden des indischen Subkontinents mit Chennai, Auroville und Goa. Zum Blogbeitrag …
Mit Saskia und Jürgen in Kalkutta, Indien. …
Dass wir die Safaris im Krüger-Nationalpark in Südafrika mit meinem Sohn Alex, seiner Frau Romina und den beiden Kindern Luan und Noomi zusammen erleben konnten, war ebenso ein Highlight und ein riesiges Geschenk. Zum Blogbeitrag …
Mit Alex, Romina, Luan und Noomi im Kruger Nationalpark, Südafrika.
Ohne euch hätte uns wirklich Vieles gefehlt!
Verwirklichung eines Traumes
Jahrelang habe ich davon geträumt, einfach immer weiter reisen zu können. Ein Sabbatjahr bietet nun mal diese unglaubliche Möglichkeit. Ich wäre doch wirklich blöd, wenn ich diese Chance nicht nutzen würde. Also fragte ich Rolf im Winter 2014 „Willst du mit mir ein Jahr lang reisen?“ … “Klar, das machen wir!“ war seine spontane Antwort. Dann habe ich den Antrag gestellt. So eine lange Ansparzeit. Voller Vorfreude und Motivation arbeitete ich auf dieses Ziel hin. Besonders das letzte Jahr vor dem Start war sehr intensiv, da die Reisevorbereitung doch viel Zeit in Anspruch genommen hat. Die letzten Wochen hatten es dann noch mal so richtig in sich. Die Untervermietung entpuppte sich als Hürdenlauf, die große Abschiedsfeier erforderte alle Energiereserven.
Nach … Tagen, als wir in Marokko unsere Rückkehr beschließen, kann ich es kaum glauben, dass unsere Reise nun zu Ende gehen wird. Mit feuchten Augen denke ich an all die Erlebnisse und nehme Abschied von diesem Traum, der nun zu Ende geht. Ich nehme auch Abschied von unserer Zweisamkeit und trauere ihr nach. Bin glücklich, dass wir sie erleben konnten.
Veränderungen
Unsere Reise hat unser ökologisches Bewusstsein noch stärker in den Mittelpunkt gerückt. Der Anblicke der Müllberge in Kathmandu, Kalkutta o.Ä. , an den Stränden Balis, in den Korallenriffen auf den Togian Islands und auch die gerodeten Urwälder (Palmöl) ist kaum auszuhalten. Möglichst kein Plastik mehr, ist die Devise! Kein Obst mehr in Tüten oder Schalen, keine Plastiktüte, kein Joghurt im Plastikbecher… Dass es nicht einfach ist, versteht sich von selbst. Ohne Auto sind wir sowieso mehr mit dem Rad unterwegs. Und Fliegen macht jetzt mal eine lange Pause.
Wir werden immer wieder nach den Highlights dieser Reise gefragt. Vietnam hat uns sehr in den Bann gezogen. Das außergewöhnliche Essen, Hanoi und die Landschaft in der Halong-Bucht, die Motorradtour im Norden Vietnams … das waren wirkliche Highlights. Auch die Abgeschiedenheit auf Kei Island/ Molukken, das Taj Mahal, die Thar-Wüste in Rajasthan, das Annapurna-Gebirge, ist , die alternative Lebensweise in Auroville, das geschäftige Kalkutta, das spirituelle Varanasi, die wundervollen Korallenriffe in Raja Ampat, die Löwen in Südafrika … doch das Beste am Reisen sind die Begegnungen mit Menschen:
die Familie auf Flores mit fünf Kindern, die wir mit kleinen Geschenken für die Kinder überrascht haben,
die Freude der Menschen auf Lombok nach dem Erbeben, als wir Reis, Decken und vieles mehr in die Dörfer gebracht haben,
die Menschen auf Kei Island und Raja Ampat, die noch so ursprünglich leben und uns Einblick in ihre Kultur gewährt haben,
die Bootsmänner auf Kei Island und Raja Ampat, die uns geduldig von Insel zu Insel gebracht und uns die besten Korallenriffe und Strände gezeigt haben,
die Crew von Tao Philippines, die sich rührend um ums und insbesondere um Rolfs Verletzung gekümmert hat,
unsere Guides in Nepal, die uns Schritt für Schritt unterstützt haben,
die Familie Gurung in Nepal, die uns ihr neues Haus gezeigt hat, dass sie u. a. von den Spendengeldern bauen konnte,
das Wiedersehen mit Lata, die sich um alleinerziehende Frauen mit Behinderung kümmert,
die Begegnung mit Elsa in der Sapana Village School in Chitwan/Nepal,
unser Fahrer Mahendra in Rajasthan, der uns zwei Wochen lang sein Rajasthan gezeigt hat,
unser Yoga-Lehrer Amogh am Agonda Beach, der uns unzählige Asanas gezeigt und mit uns geschwitzt hat,
der Besitzer vom „Sea-Star“ am Patnem Beach, der uns einen zweiten Ventilator gebracht hat,
die Fahrrad-Guides in Soweto, die uns ihr Soweto mit großer Hingabe gezeigt haben,
die Ranger im Krüger Nationalpark, die unentwegt versucht haben, den Leoparden ausfindig zu machen…
Sie alle haben uns eine andere Welt gezeigt, ihre Heimat, ihre Familie, ihre Kultur, ihr Essen, ihre Gewohnheiten, ihre Menschlichkeit und ihre Bedürfnisse. Wir sind dankbar für all diese Begegnungen. Sie alle sind gut und liebenswürdig. Wir wurden überall mit offenen Armen empfangen.
Mit zwei Rucksäcken fast ein ganzes Jahr unterwegs.
Nach dem Motto „ Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ stürzten wir uns in das größte und folgenreichste Experiment unserer Beziehung. Dass Liebe Arbeit ist, wird auch auf Reisen so sein.
Nach unseren Erfahrungen in den ersten Monaten in Indonesien spüre ich die ersten Veränderungen. Unser Leben ist nun voller Abenteuer, Action und Herausforderungen. Und wir haben Zeit … unendlich viel Zeit. Darauf hatte ich mich auch so sehr gefreut, wo ich doch so oft am Wochenende viel zu viel gearbeitet habe, statt mich zu entspannen oder mit Rolf Fahrrad zu fahren. Je abenteuerlicher und abgelegener es wird, je mehr spüre ich, wie sehr ich Rolf brauche. Dass uns unsere Beziehung im Verlauf dieser Reise immer wichtiger wird, denn ohne den anderen, würden wir diese schwierigen und auch frustrierenden, überfordernden oder nervigen Situationen schlechter aushalten, wird immer deutlicher. Die Glücksmomente bereiten noch mehr Freude und die Frustmomente sind nur noch halb so schlimm … frei nach “Geteiltes Glück ist doppeltes Glück“.
Indonesien, Kei Islands,Yoga am Strand.
Auch unsere Rollen werden klarer und intensiver. Wir sind Freunde und Reisepartner, aber auch Liebespartner. Dass wir uns auf den anderen verlassen können, wird überlebenswichtig. Ohne Visum am Flughafen zu stehen, würde zur Odyssee, wenn der andere es trotz Absprache nicht organisiert hat. Mit den Rollen klären sich die Aufgaben. Während Rolf der perfekte Finanzmanager ist, bin ich als Reiseleitung unentbehrlich. Wo fahren wir nochmal hin? Wie kommen wir von Hanoi nach Ninh Binh? Ist das Frühstück mit drin? Gibt es auch Wifi? Wie heißt das Hotel? Wie lange bleiben wir dort? Was machen wir eigentlich da? Diese sich wiederholenden Fragen beantworte ich immer wieder geduldig, während er mir unsere Ausgaben akribisch vor Augen führt und die Kontobewegungen im Blick behält. Ohne den anderen geht irgendwie nichts mehr. Natürlich fallen wir auch in Löcher, die unsere Stimmung runterziehen. Wenn der andere uns da wieder rausholen kann, umso besser. Außerdem ergibt es wenig Sinn, hier länger im dunklen Loch zu bleiben. Also, Kopf hoch, Krone richten und weiter geht’s.
Die anfängliche Idee, das zweite Halbjahr alleine zu reisen, da Rolf ursprünglich sich nur ein halbes Jahr beurlauben lassen wollte, haben wir glücklicherweise verworfen. Je länger wir reisen, je absurder erscheint mir diese auch. Die Vorstellung, Rolf zum Flughafen zu bringen und dort zu verabschieden, nachdem wir ein halbes Jahr unentwegt zusammen waren … nein, nein, das geht auf gar keinen Fall! Sturzbäche von Tränen würde ich vergießen … in solchen Momenten spüre ich es wieder … wie wichtig doch die Beziehung auf so einer Reise wird!
Jedes Land, jede neue Kultur stellt uns vor neue Herausforderungen. Jeder Ortswechsel erfordert, dass wir uns neu orientieren. Unsere Anpassungsfähigkeit ist extrem gefragt. Das schweißt auch die Beziehung zusammen, denn diese neuen Erlebnisse, Anforderungen und Entscheidungen, die es in dieser Art in Köln nicht gibt, gemeinsam zu bewältigen, geben uns noch mehr Kraft.
Vietnam, Kochkurs in Hanoi.
Wie wunderbar es ist, alles miteinander teilen zu können, die traumhaften sowie die schrecklichen Momente, das fürchterliche Essen in Manila oder die usselige Unterkunft in Pushkar, die farbenreichen Sonnenuntergänge auf Kei Island, die Freude der Familie auf Flores, der Kochkurs in Vietnam, Rolfs Verletzung durch Seeigel auf den Philippinen, unsere Yoga-Stunden in Goa, die anstrengende Trekkingtour in Nepal, die kalten Nächte im Annapurna-Gebiet, die nicht funktionierende Klospülung, unsere unzähligen Restaurantbesuche und so vieles mehr. Was gibt es Schöneres, als all dies mit seinem liebsten Partner zu erleben? Diese Erinnerungen sind unsere Goldmine. Wenn wir (noch) älter sind, können wir darin schwelgen und uns vor Lachen kringeln.
Damit sich jeder auf so einer Reise wohlfühlen kann, ist es gut, die Gewohnheiten des anderen zu kennen. Dass Rolf morgens beim Kaffee seine Ruhe braucht, dass ich wegen Hitzewallungen körperlichen Abstand, Fächer und ein Schweißtuch brauche, dass ihn nasse Klodeckel und mich seine schmutzigen Sandfüße nerven … Auf diese Eigenarten ist Verlass!
Philippinen, Kontakt mit einem Diadem-Seeigel, 80 Stiche in einer Hand.Philippinen, Unterwegs mit TAO-Philippines auf Palawan.
Natürlich streiten wir uns auch, doch das sind keine verletzenden Auseinandersetzungen. Manchmal gehen wir uns dann eine zeitlang aus dem Weg, finden am gleichen Tag auch wieder zusammen.
Selten verbringen wir Zeit getrennt voneinander. In schwierigen Situationen hilft es sehr, wenn einer die Ruhe bewahren kann. Als eingefleischte Optimistin versuche ich das Positive hervorzuheben und sorge für die Erfüllung der wichtigsten Bedürfnisse wie Essen, Bier, Wifi, Bett. Ich muss auch nicht mehr alles verstehen. Schon mal gar nicht in Indien. Das ist eh nicht möglich, ob der mangelnden Verständigungsmittel und kulturellen Unterschiede. Gleichmut …Om Shanti … alles wird gut …!
Danke, Rolf, dass wir dieses Abenteuer gemeinsam erleben durften!
Indonesien: Kei Islands I.Indonesien: Kei Islands II.
Ob das Gepäck wohl in das Auto passt? Immerhin haben Saskia und Jürgen neben zwei größeren Rollkoffern auch jede Menge Handgepäck dabei. Saskia ist die Königin in Handgebäck-Aufgeben. Ihr macht da echt keiner was vor. Ist die Gewichtsgrenze fürs Hauptgepäck auf 15 kg limitiert, packt sie kurzerhand um in ihren in Rishikesh gekauften kleinen Rollkoffer. Dieser überschreitet gemeinsam mit dem restlichen Handgepäck das zulässige Gewicht von 7 kg bei weitem. Aber was soll’s? Sie wird am Flughafen von Chennai den Typen von SpiceJet schon was erzählen. Und tatsächlich, ihr Handgepäck wollen sie so nicht akzeptieren. Ohne Wenn und Aber gibt sie es einfach zusätzlich auf.
Geschafft! Während unser Fahrer wie auch immer zwei große Rucksäcke plus die Rollkoffer verstaut, quetschen wir uns zu Dritt auf die enge Rückbank. Der große Jürgen sitzt vorne und unterhält sich die nächsten Stunden angeregt mit unserem Fahrer. Dieser scheut nicht davor zurück, uns alle auf unserer Route in ein Dosa-Restaurant einzuladen! Wie wunderbar! Am Flughafen angekommen verabschieden wir uns herzlich und vertreiben uns die lange Wartezeit bis zum Check-In, denn von Chennai nach Goa haben wir um 1 Uhr einen Nachtflug. In einem Irish-Pub verfallen wir der Bierlust, die uns teuer zu stehen kommt. Typisch Flughafen!
Kurz vor Sonnenaufgang landen wir auf dem Dabolim Airport in Goa, der sich mitten in einer Modernisierungskur zu befinden scheint. Neue Gepäckbänder, Sitzreihen und Böden. Sogar Cafés und Restaurants bieten dem übermüdeten Gast Snacks und Kaffee an. Mit dem Prepaid-Taxi fahren wir für 1800 IR durch die Morgenröte nach Agonda, wo Saskia das Romya Guesthouse gebucht hat. Langsam aber sicher erwacht das Leben auf der Straße und in den Häusern. Es wird immer grüner und tropischer bis wir nach einer guten Stunde Agonda erreichen. Ich kann mich gut an die kleine Hauptstraße erinnern, die von vielen Souvenir-Shops gesäumt ist. Teiten, der Besitzer, begrüßt Saskia mit einem breiten Lächeln. Unsere Zimmer liegen auf der ersten Etage mit einer großen gemeinschaftlichen Terrasse. Wir entscheiden uns für das Zimmer mit Küche und Kühlschrank, Saskia und Jürgen nehmen das Zimmer mit Klimaanlage – wie sich später herausstellt – eine kluge Entscheidung.
Agonda Beach – unsere erste Station in Goa
Als ich abends am Strand entlanglaufe, überkommen mich Freudentränen, wieder hier zu sein, ich kann es nicht fassen, wie schön es hier ist. Endlich wieder am Meer. Freue mich auf die Pause vom Reisen, auf einen ritualisierten Tagesablauf mit Joggen und Yoga. Ich treffe Rolf am Strand, umarme ihn und weine vor Glück. Zum Sonnenuntergang gehen wir ins Madhu, genießen ein Kingfisher und essen hier zu Abend. Der Kellner präsentiert mir die fangfrischen Fische und ich wähle mal den dicken Kingfisher aus. Dass er dann doch teuer wird, weiß ich noch nicht (1000 IR). Endlich mal wieder Fisch. Ich esse wirklich gerne Fisch.
Wohlfühlprogramm mit Yoga und Joggen und …
Die nächsten Tage beginnen mit Joggen am frühen Morgen (Eve) und Yoga bei Amogh, einem indischen Yogalehrer, der im Avocado Guesthouse in der Shaka auf dem Dach praktiziert. In Ermangelung anderer Yogis – da Saisonende – stellt sich Amogh ganz auf unsere Bedürfnisse und Wehwehchen ein – im Prinzip Privatstunden. Auf dem Rücken liegend atmen wir tief in den Bauch, dehnen unsere Wirbelsäule diagonal und längs. Schwitzend halten wir die Posen, kämpfen und genießen, mit dem Ziel, uns hinterher so beweglich wie ein Akrobat zu fühlen. Wenn Amogh nicht kann, gehen wir ins Simrosezu Sabine, die Restoratives Yogaanbietet. Bei dieser Art von Yoga, die für uns auch neu ist, werden die einzelnen Stellungen lange gehalten, wobei der Körper mit Polstern, Kissen und Blöcken unterstützt wird, dass er gut entspannen und regenerieren kann. Restorativ bedeutet wiederherstellend oder heilend. Diese sanften Bewegungen durch Vorwärtsbeugen, Rückbeugen und Dehnen lösen Verspannungen unserer Wirbelsäule. Die erste Yoga-Einheit bei Amogh endet für Rolf bedauerlicherweise mit Schmerzen in seiner kaputten Schulter – er wollte wieder mal zu viel. So ein Mist!Wo er doch jetzt dem Yoga so entgegenfiebert. Dem Himmel sei Dank, denn Ibuprofen schafft Abhilfe.
Restoratives Yoga bei Sabine
Sergej, eine Russe und eine Institution in Agonda, scheint der Maharadscha der Physiotherapeuten zu sein. Er ist bekannt wie ein bunter Hund. Neben dem rosa Häuschen geht man durch ein Gartentor, folgt dem Weg bis zu seiner Veranda und legt sich dort auf den Boden. Dort hat er sich mit Hilfe von Matten, Decken und Kissen, die auf dem Boden liegen, seine „Massagepraxis“ gebaut. Nach einem kurzen Gespräch mit Händen und Füßen angesichts seiner mangelnden Englischkenntnisse knetet, drückt, reibt und klopft Sergej meinen Rücken, meinen Po mit der Lendenwirbelsäule, die Beine hinunter bis zu den Füßen. Währenddessen jaule ich vor Schmerzen wie ein Hündchen oder entspanne mich wie ein Faultier. Hinterher geht’s mir immer besser. In gespannter Erwartung kommt Rolf um die Ecke. Auch bei ihm geht Sergej nicht zimperlich ans Werk. Weil Sergejs Terminkalender üppig gefüllt ist und er alsbald Agonda verlässt, ergreifen wir die Chance für zwei weitere Behandlungen.
Tagsüber flüchten wir vor der großen Hitze in schattige Restaurants, harren dort im schattigen Wind aus, bis die Sonne am Nachmittag an Kraft verliert. Dann werfen wir uns freudestrahlend in die recht hohen Wellen, schwimmen und beobachten die Leute auf den Body-Boards, wie sie darauf liegend auf dem Wellenkamm rasant schnell zum Strand gleiten.
Unsere einzige Aufgabe am Abend ist es, ein passendes Strandrestaurant auszuwählen. Ein Sonnenuntergang ohne Kingfischer-Bier wird unvorstellbar. Die Restauranttester, Jürgen und Rolf, degustieren Chicken Vindaloo – der Name klingt wie das kölsche Karnevalslied „Lev Linda Lu“- in unterschiedlichen Varianten, während Saskia und ich den vegetarischen Spezialitäten wie Allo Gobi oder Jeera Alootreu bleiben. Raitaund Butterbzw. Garlic Naanwerden unsere konstanten Begleiter.
Da die Schildkröten zur Zeit ihre Eier am Strand ablegen, ist es den Restaurants nicht erlaubt, Tische und Stühle in den Sand zu stellen, auch keine Sonnenliegen. Das ist zwar schade, aber verständlich. Auch wir haben das Glück eines Abends die frisch geschlüpften Schildkröten in einer Schüssel schwimmend zu sehen, die darauf warten, am Abend ins offene Meer laufen zu können.
Auf dem Weg zu unserem Guesthouse ist es unvermeidlich von den Verkäufern mit „Hello Mister! You can have a look inside!“ angesprochen zu werden. Anfänglich mehrmals am Tag, später immer weniger. Verstehe wer will, warum es hier wirklich in fast jedem Shop das Gleiche gibt. Klangschalen, Götterfiguren, Elefanten, Schlösser, Schmuck, Batikkleider, T-Shirts und Hosen. Während die Kleidung vor rotem Staub dahingilbt, wird der Rest täglich mit einem Feudel gesäubert. Es vergeht kein Tag an dem die Verkäufer nicht ihre Regale, Bretter und Treppchen in mühevoller Kleinarbeit aufbauen, bestücken und spätabends alles wieder abbauen. Um der Langeweile mangels Kunden zu entgehen, schlagen einige die Zeit mit Kartenspielen tot. Mir persönlich ist es in den Läden eh viel zu heiß, da können sie so viele Ventilatoren anbringen wie sie wollen. Schon im Eingang läuft mir der Schweiß den Rücken hinunter.
Palolem-Beach
Nach ein paar Tagen bietet es sich an, mal nach Palolem zu fahren, zumal Rolf es noch gar nicht kennt. In Palolem habe ich 2016 meine Indien-Liebe entdeckt. Unser Taxi lässt uns an der Palolem Road raus, wo Saskia und ich die Klamottenläden in Augenschein nehmen. Rolf und Jürgen ziehen es vor, im Cuba die Happy Hour mit einem Mojito zu starten.
Am Strand angekommen staune ich über die vielen indischen Familien und Paare, die hier scheinbar auch ihr Paradies entdeckt haben. Sie planschen wie Kinder in den Wellen, denn schwimmen können Sie eher weniger. Das ist auch der Grund für die permanente Präsenz der rot-gelben Lifeguards, die Bademeister am Strand, die mit ihrer Trillerpfeife allzu Wagemutige heraus pfeifen.
Wenn die Sonne glühend rot im arabischen Meer versinkt, locken die Restaurants mit ihren liebevoll mit Kerzenlicht dekorierten Tische zum großen Candel-Light-Dinner. Im Restaurant Chascaa, das auf den Felsen an der Südseite thront, essen wir mit herrlichem Blick über die gesamte Bucht. Romantischer geht’s kaum!
Palolem Beach
Warum Kühe in Indien heilig sind
Jeden Abend scheinen sich die Kühe am Strand zu einem Stelldichein zu verabreden. Wie auf Knopfdruck machen sie sich gegen 18 Uhr auf in Richtung Strand. Dort nähern sich auch schon mal einer herrenlosen Decke, dessen Besitzer sich gerade im Wasser tummeln. Eine Flasche Sekt mit zwei Gläsern sehen wir dort stehen. Als das Paar zurückkommt, ist ihr Platz umringt von Kühen. Ratlos stehen sie davor.
Wenn dann die großen Kisten mit den Essenresten der Restaurants zum Strand getragen werden, laufen sie alle los und ringen um den besten Platz. Jetzt wird klar, warum sie jeden Abend zur gleichen Zeit hierher kommen. Ach diese heiligen Kühe! Sie gehören zum Straßenbild Indiens wie die Ampeln in Deutschland. Unbehelligt vom lärmenden Verkehr stehen, liegen und gehen sie herum, wie Speedblocker regeln sie dadurch den Verkehr, da sie immer Vorfahrt haben. Niemand darf sie behindern oder ihnen Gewalt antun, geschweige denn schlachten. Fährt jemand eine Kuh an, wird er hart bestraft.
Ich frage nach, ob diese Tiere denn jemanden gehören. Ja, tuen sie … die Besitzer können sich meist nur kein Futter leisten. Wenn du für den heutigen Tag dein Karma etwas auffrischen möchtest, kannst du an einer Straßenecke von einer findigen Inderin Gras kaufen und die daneben stehende Kuh füttern. Daneben suchen sich die Kühe aus den Abfällen der Straße und Märkte Essbares zusammen, denn davon gibt’s in Indien mehr als genug. Die Kuh als biologische Müllverwertung!
„Doch warum sind sie denn heilig?“, fragt Rolf mich. Ich gehe der Sache mal nach und finde Folgendes heraus: im Hinduismus nimmt die Kuh eine Sonderstellung ein. Sie gilt als Erfüllerin aller Wünsche, als die Mutter von Millionen indischen Menschen. Ihren heiligen Status hat die Kuh laut Mythologie Gott Krishna zu verdanken, da er eine zeitlang in einer Hirtenfamilie lebend von einer Kuh ernährt wurde. Für das Karma ist es zuträglich, die Kühe zu achten, zu ehren und sogar zu pflegen. In Mumbai habe ich selbst ein Altersheim für Kühe zu Gesicht bekommen.
Als Lebensspenderin gibt die Kuh fünf heilige Gaben:
Das Ghee: ein Butterschmalz, das zur Zubereitung der Speisen verwendet wird aber auch für Lampen bei sakralen Zeremonien und bei der Verbrennung von Toten.
Der Mist: für die Landbevölkerung ein wertvolles Brennmaterial und Düngemittel, aber auch zum Hausbau als Bindemittel zwischen Lehm und Stroh.
Der Urin: Mit seiner antiseptischen und heilenden Wirkung, wird er medizinisch verwendet, aber hat auch eine sakrale Bedeutung: z.B. jeder zum Hinduismus Bekehrte wird mit Urin bespritzt.
Die Milch: der berühmte Chai, Tee mit Milch oder Milch-Tee, wird an jeder Straßenecke auf kleinen Kochern zubereitet, ist das Nationalgetränk Indiens. Alle trinken es, ob reich, ob arm, ob alt, ob jung.
Das Lassi: Lassi ist ein Joghurt-Getränk (natürlich auch ein Milchprodukt), das in der großen Hitze kalt und erfrischend ist.
Nun wird wird deutlich, warum die Kuh für die Inder eine so große Bedeutung hat.
Aberglaube – überall gegenwärtig
Indien wäre ohne Aberglaube nicht das Indien, das wir kennen und mögen. Häufig wundern wir uns, verstehen nicht unbedingt alles, doch das macht es ja gerade aus in Indien. So viele abergläubische Rituale bestimmen hier den Alltag. Als Westler, die wir eh weniger Zugang zu solchen abergläubischen Praktiken haben, steht es uns nicht zu, darüber zu urteilen oder dies gar als Blödsinn abzustempeln. Wir jedenfalls mögen diese wunderlichen Rituale, deren Bedeutung wir gerne entdecken.
Wenn allmorgendlich beispielsweise in Auroville die Tamilinnen aus farbigem Reis und Sand, Mehl und Blütenblättern ihre Muster (Rangolis) auf den Boden vor ihrer Eingangstüre gestreut haben, hat uns das sehr berührt. Eines Abends beobachte ich ein ca. 12jähriges Mädchen wie sie geschickt das Muster erzeugt. Wie schön, dass Großeltern und Eltern diese Kunstform und Tradition an ihre Kinder weiter geben. Natürlich sollen diese Rangolis vor dem bösen Blick (evil Eye) schützen und Glück bringen. Der Glaube an den bösen Blick ist vielen Kulturen verbreitet. Bei Kleinkindern und Babys werden zu diesem Zweck schwarze Punkte ins Gesicht gemalt, was schon etwas seltsam aussieht.
Ein Mädchen gestaltet ein Rangoli
Bereits in Nepal haben wir uns über die schwarzen Gummischnüre an den Kotflügeln oder Stoßstangen der LKWs gewundert. Auch sie geben, wie die kleinen Altäre und Gottheiten wie Shiva und Ganesha, auf der Armatur der Autos göttlichen Schutz. Ebenso gelten die Schnüre mit aufgefädelten Chillis und Limetten (Nimbu-Mirchi) an Stoßstangen festgebunden oder vor Geschäften als Symbol für das Böse und darüberhinaus wehren sie Moskitos ab.
Auch die unzähligen Krähen, die wir eher lästig und laut empfinden, da sie mit ihrem ewigen „KAA, KAA, KAA, …“ das Getöse in Indien noch weiter befeuern, werden geehrt und gefüttert, das sie mit den verstorbenen Ahnen in Verbindung stehen. Einmal lassen wir für einen kurzen Moment die Bananen und Papayas auf dem Tisch auf der Terrasse liegen und schon machen sich die Krähen darüber her.
Abschied von Saskia und Jürgen
Erst ein paar Tage vor der Abreise der Beiden realisieren wir, dass sich unsere gemeinsame Zeit dem Ende zuneigt. Wie schnell die letzten Wochen doch vergingen! Fast vier Wochen haben wir gemeinsam Indien bereist. Früher, als unsere Kinder noch klein waren, sind wir öfter gemeinsam nach Frankreich an die Ardéche gefahren. Doch begründet durch unsere beruflichen Wege und unser Engagement in unserer Arbeit und in der Familie, insbesondere für die Enkelkinder, hatten wir keine gemeinsame Urlaubszeit mehr. Um so mehr, sind wir so dankbar dafür, dass wir dies auf unserer Reise so umsetzen konnten. Diese Erlebnisse hier werden immer in unserer Erinnerung sein. Ein letztes gemeinsames Frühstück beim Nepali gegenüber. Mit Tränen in den Augen nehmen wir vor dem Tor unseres Guesthouses Abschied, als das Taxi erscheint. Wir drücken uns lange. Am liebsten wären wir mitgefahren. Ja, wir haben Heimweh!
Vor dem Abschied noch ein Gruppenbild
Patnem Beach
Obwohl wir ursprünglich noch eine Woche bis zu unserer Abreise nach Südafrika in Agonda bleiben wollten, spüren wir Beide, dass wir nach dem Abschied einen Wechsel brauchen, zumal wir jetzt auch nicht mehr ohne Klimaanlage schlafen können. Da wir unser Zimmer mit Küche nicht aufgeben möchten, mieten wir das Zimmer nebenan mit AC dazu. Mit den weniger tauglichen Scootern fahren wir nach Patnem Beach und finden das Moonstar-Hutsam nördlichen Ende. Zwei Tage später ziehen wir um, was uns sichtlich guttut. Die einfache Holzhütte mit Terrasse für 1200 IR/15€ bietet alles, was wir brauchen. So hoffen wir, dass die Nächte hier kühler werden als in dem Haus in Agonda. Und tatsächlich die luftige Bauweise ist klasse. Endlich bleibt meine Haut auch nach dem Duschen noch trocken. Auf der Suche nach Yoga probieren wir das Hatha Yoga des Gurus im The Brothers. Der Beginn um 07:30 Uhr erfordert Selbstdisziplin, die Rolf auch an einem Morgen aufbringt. Angesichts der eher schnell wechselnden Asanas und des ruppigen Stils suchen wir weiter.
Das Moonstar Huts
Als wir im Chai-Shop an der Ecke zur Beach-Road Masala Omelette essen, kommt unerwartet Gabriella herein, die ich in den letzten beiden Jahren auch hier getroffen habe. Nach langem Plausch wird klar, dass wir fürs Yoga den Weg in den Dschungel nach Gurukul auf uns nehmen.
Die Gurukul Shala
Archays Yoga ist vedisch ausgerichtet und genau unser Stil. Schwitzend verbiegen wir uns, halten die Asanas lange und atmen tief ein und aus. Die positive Wirkung spüren wir gleich im Anschluss daran. So laufen wir jeden Morgen um 8 Uhr zuerst auf einen Kaffee in den Chai-Shop und dann gestärkt um 8:30 Uhr zum Yoga. Seit langem sehe ich vier bewegliche Männer im Kurs. Archays neue Shala mit seinem kleinen Tempel vorne ist wirklich sehr hübsch geworden. Insgesamt ist dieser Ort hier eine kleine Oase zum Wohlfühlen.
Der Chai Shop
Das dritte Mal in Patnem und ich mag es immer noch sehr. Rolf freut sich nun auch auf kühlere Temperaturen in Südafrika. Wehmütig nehme ich Abschied. Wir kommen wieder – ganz bestimmt.
Auf unserem Reiseplan steht wieder ein komplett neues Kapitel, Afrika, mit dem Start in Südafrika und einem weiteren Familien-Treffen mit meinem Sohn Alex, seiner Frau Romina und den Kindern Luan und Noomi – wir freuen uns drauf …
Auroville möchte eine universelle Stadt sein, in der Männer und Frauen aller Länder in Frieden und fortschreitender Harmonie leben können, jenseits aller Bekenntnisse, politischer Überzeugung und nationaler Herkunft. Aurovilles Aufgabe besteht darin, die wahre menschliche Einheit zu verwirklichen.
Mira Alfassa, Gründerin Aurovilles
Im Netz kursieren die wildesten Vorurteile von Sekte bis Kommune, in der die Halbnackten mit Blumenketten auf Gitarren klimpern. Denn neugierig wie wir sind, wollen wir uns selbst ein Bild von der sogenannten Stadt der Zukunftmachen. Rolf und ich sind weder esoterisch noch religiös, dafür offen für Neues. Immerhin haben wir acht Tage Zeit für Auroville. Bei meiner Schwester, Saskia, die bereits zweimal in Auroville war, sind wir in guten Händen, denn sie weiß wie und wo wir beginnen können.
Als erstes organisieren wir uns eine schöne Unterkunft am nicht so schönen Strand. Hauptsache Wind, denn es ist weiterhin heiß und feucht. Strände in Tamil Nadu laden weniger zum Verweilen ein, da sie erstens von Fischern und deren Booten und zweitens von der lokalen Bevölkerung als Toilette und Müllplatz genutzt werden. Mit unserem Taxifahrern durchforsten wir die Unterkünfte am Meer. Obwohl das Samarpan Guesthousemit 3000 IR (39€) etwas über unserem Budget liegt, überwiegen die Vorteile so schwer, dass wir bleiben.
Auch wenn es unser Budget sprengt – wir lassen es uns gut gehen …
Der italienische Besitzer hat hier eine für diese Gegend schön gestaltete mediterrane Anlage mit einem gepflegten Garten und Pool geschaffen. Um in das ca. 5 km entfernte und weitläufige Auroville zu kommen, leihen wir uns für die nächsten Tage vier Roller. Weil Auroville bargeldlos funktioniert, braucht auch jeder eine Auro-Card, die man im Guesthouse gegen eine Kaution von 500 IR bekommt. Diese müssen nur noch in Auroville aufgeladen werden. Komisch oder? Bargeldloses Auroville und dennoch eine Geldkarte! Also jetzt aber endlich los. Helme auf die schwitzigen Köpfe und los geht’s. Vier Scooter hintereinander auf staubigen und buckligen Wegen in Richtung Hauptstraße, die mit ihrem tosenden und chaotische Verkehrsgewühle auf unsere erste Überquerung wartet. Denn gegenüber führt die Straße direkt nach Auroville. Wie sollen wir nur zu Viert hier rüberkommen? Schweiß rinnt unter dem Helm hervor. Ich schaue rechts, links, rechts links… jetzt rüber… ach nein… das reicht nicht… puh, wie anstrengend ist das denn! Rolf ist da durchsetzungsfähiger …
Die eigentlichen Könige der Straße, die viel zu schnellen Busse und LKWs, lassen wir vorbeiziehen. Jede noch so kleine Lücke bietet einem von uns die Chance rüberzufahren. Endlich drüben, geht’s weiter voran immer schön im Fahrtwind kühlen. Das tut gut.
Das Finanzcenter zu finden stellt sich uns als nächste Aufgabe. Keine Schilder, dafür kopfwackelnde Inder, die niemals zugeben würden, dass sie den Weg auch nicht wissen. Meine Schwester, die mit Mama Google nicht so eng verbunden ist, fährt nach Gefühl vorneweg. Komisch, sie kann sich doch nicht mehr so genau erinnern, wie gedacht. So wenden wir das ein oder andere Mal. Rolf schüttelt genervt den Kopf. „Eve, mach du die Navigation!“, höre ich ihn hinter mir. Während wir mit unseren Rollern über staubige, rote Pisten cruisen, begegnen und überholen uns permanent grauhaarige westliche Frauen wie Männer zwischen 50 und 70 Jahren. Sie scheinen zu den Pionieren von Auroville zu gehören, die hier vor 50 Jahren auf trockener roter Erde die ersten Bäume gepflanzt haben. Bis auf die German Bakery, die Pizzeria Tanto, das Café Bread &Chocolate und einigen Europäern auf E-Bikes sieht alles so aus wie sonst, nur mit weniger Müll. An der Rechtskurve hilft uns zur Orientierung der Shiva-Tempel mit ohrenbetäubender Musik. Nach dem Dorf Kuillapalayam säumen Bäume die Straßen wie eine Allee. Es wird immer grüner und dichter, die Luft immer frischer. Der Wind kühlt uns etwas ab. Der Verkehr ist bis auf ein paar gelbe Schulbusse und Lastwagen eher ruhig, so dass das Scooter fahren entspannt ist.
Unser Hunger treibt uns über rote Schotterpisten zur größten Gemeinschaftskantine von Auroville, Solar Kitchen.Hier stärken wir uns nach dem Aufladen der Karten mit gesundem Bio-Essen. Natürlich vegetarisch, natürlich leise – manche Tische sind mit einem Silence-Schild ausgestattet, natürlich selbst spülen. Rolf stochert etwas in seinem Gemüse herum. Es schmeckt ihm bedingt. Täglich werden hier über 1000 Mahlzeiten für die Schulen und andere Kantinen in Auroville vorbereitet.
Im Visitor Center informieren wir uns anhand der Ausstellung und eines fortlaufenden Films über die Geschichte und die Philosophie Aurovilles. Uns wird klar, dass du viel Zeit und Mühe brauchst, um Auroville wirklich kennen zu lernen, sich das Konzept, die Idee, die Angebote und Möglichkeiten zu erarbeiten.
Das kulturelle Angebot ist so vielfältig, dass es uns fast überfordert. Dutzende Workshops in den unterschiedlichsten Yoga-Stilen, Meditation, Ayurveda, Massagen, Feldenkrais, Hypnose, Kunst, Kino, Gärtnern, Astrologie, Om Chor, Fitness, Coaching, Tanzen, Sound-Baden oder ein Sound-Garten, Akupunktur, Capoeira, Kampfsport, Pranayama und einige Angebote zum Thema Alternative Energien und ökologische Landwirtschaft. Entweder suchst du auf der Homepage oder blätterst in dem Ordner im Visitor Center. Wegen der Hitze finden die meisten Veranstaltungen früh morgens oder am späten Nachmittag statt.
Sound-Baden
Wir probieren das Sound-Badenan einem Abend. In der Mitte eines großen schönen Raumes liegen unzählige Musik- und Klanginstrumente. Matten mit Kissen liegen im Kreis bereit. Leise treten ca. 40-50 Interessierte ein und suchen sich ein Plätzchen. Während wir mit geschlossenen Augen auf den Matten liegen, lauschen wir den Klängen, die aus unterschiedlichen Richtungen kommend, eine Geschichte erzählen. Laut und leise, hell und dunkel, tief und hoch, wie Vögel, wie Gewitter, wie Frühling, wie Abend … Eine Stunde Klanggeschichte, eine Stunde verzaubern lassen vom Genusshören.
Watsu – Wasser – Shiatsu
Was ist wohl Watsu, frage ich meine Schwester, als sie mir vorschlägt, einen Termin dafür zu vereinbaren.. Begeistert erzählt sie mir von ihren Erlebnissen, als sie das letzte Mal hier war. Na dann ist das auch etwas für mich. Das sollte ich mir doch nicht entgehen lassen. Im Internet lese ich, dass Watsu auf den Lehren des Zen-Shiatsu beruht. Die physikalischen Eigenschaften des Wassers werden dazu genutzt, den durch den statischen Auftrieb von der Schwerkraft entlasteten Körper passiv zu dehnen und zu strecken.
Unsere Männer zeigen weniger Interesse an Watsu, folglich fahren wir ins Quiet-Healingcenter. Watsu ist ziemlich gefragt. Doch an unserem letzten Tag in Auroville sollen wir doch noch in den Genuss dieser außergewöhnlichen Erfahrung kommen. Mit Schwimmsachen bepackt stehen wir um 12 Uhr auf der Matte. Vor der Therapie bekommt jeder von uns ein ausführliches Briefing von seinem Therapeuten über die bevorstehende Behandlung, z.B. welches Zeichen er uns gibt, wenn er uns ganz untertaucht. Zu diesem Zweck hat er eine Nasenklammer dabei, die er uns später in die Hand drückt.
In 35 Grad warmen Wasser bekomme ich mit Auftriebskörpern an den Fußgelenken ein erstes Gefühl dafür, dass meine Füße nach oben wollen. Mein Therapeut, Pascal, steht im brusttiefen Wasser und hält mich unter den Armen fest. Ich soll die Augen schließen und nichts tun. Er bringt mich in die Rückenlage und trägt mich mich durch das Wasser. Indem er meine Beine anwinkelt, mich zur Seite dreht, die Arme nach oben und hinten durch zieht, dehnt er meine Beine, meine Taille, meine Arme, den Rücken, den Hals … alles ganz langsam. Ich selbst darf nichts aktives tun. Ich verlasse mich komplett auf ihn. Er zieht mich durch das Wasser, wobei ich die Strömung des Wassers spüre. Das Wasser streichelt meine Haut großflächig. Hui, ist das ein berauschendes Gefühl! Unter Wasser erklingt sanfte Musik. Ein vorgeburtliches Gefühl macht sich breit, als er mich in die Babystellung bringt und festhält. Die Beine über seinem Arm, mein Kopf an seiner Brust umschließt er mit dem anderen Arm meinen Oberkörper, zieht mich sanft durch das Wasser. So muss es im Mutterleib gewesen sein. Wow … wie wunderbar! Noch nie habe ich mich so geborgen gefühlt.Als er mir das Zeichen zum Untertauchen gibt, befestige ich die Nasenklammer. Ich hole tief Luft, er drückt mich tiefer nach unten, dreht mich zur Seite, zieht mich an einem Arm und einem Bein durch das Wasser und holt mich auch wieder nach oben. Ich atme aus… wow… so dunkel da unten, so ruhig und schwerelos… vielleicht fühlt sich so der Tod an… gar nicht so übel… das kann ja noch ganz nett werden.Immer wieder taucht er mich in verschiedenen Positionen unter, nie zu lange, nie unangenehm. Ich vertraue ihm total. Wie ein Wal gleite ich schwerelos dahin, tauche mal auf, um dann wieder im Dunkeln zu verschwinden. Nach einer Stunde entspanntes Dahingleiten in Schwerelosigkeit, komme ich mir beim Hinausgehen wie ein tonnenschwerer Elefant vor. Was für ein grandioses Erlebnis!
Kleine Entstehungsgeschichte von Auroville
Die Französin, Mira Alfassa, auch The Mother genannt, kam 1914 nach Pondicherry. Sie verwirklichte Sri Aurobindos Gesellschaftstheorie einer universellen Stadt. Sri Aurobindo (1872-1950), der von seiner Familie mit sieben Jahren nach England geschickt und dort in Englisch, Latein und Griechisch, in Geschichte, Geographie, Arithmetik und Französisch ausgebildet wurde, setzte sich nach seiner Rückkehr mit alternativen Lebensformen auseinander. Er forderte die vollständige Unabhängigkeit Indiens. Während er sich politisch weiter engagierte, wandte er sich verstärkt dem Studium der indischen Yoga-Lehren und Übungen zu. Sri Aurobindo, der Freiheitskämpfer, Poet und Guru entwickelte eine neue Lebensform, die er selbst als Integrales Yoga bezeichnete – Integral = umfassend; Yoga = Bewusstseinsentwicklung im Sinne einer modernen, zukunftsweisenden, umfassenden Bewusstseinsentwicklung. In Pondicherry gründete er einen Ashram, dessen verantwortliche Leitung er Mirra Alfassa, die er mit der Göttlichen Mutter identifizierte, vollständig übertrug, um sich zurückzuziehen. The Mother, Mira Alfassa setzte die Theorien des Philosophen Sri Aurobindo um. Sie war seine rechte Hand. Sri Aurobindo lebte bis zu seinem Tod 1950 zurückgezogen in seinem Haus und verfasste seine Philosophie in Büchern und Schriften. Bemerkenswert ist, dass die Beiden die Unterstützung vom indischen Staat und einer UNESCO Resolution bei der Umsetzung bekommen haben. Das war der Startschuss für das Projekt Auroville, die Stadt der Morgenröte.
Auf dem Weg nach Auroville wird deutlich, dass Auroville keine dicht besiedelte Stadt ist, sondern aus über 100 Communities, die weit verstreut und zum Teil versteckt in den Wäldern liegen, besteht. Diese Wälder und Felder sind das Resultat unermüdlicher Pflanz-und Farmarbeiter, der ersten Pioniere vor 50 Jahren, denn das gesamte Land war abgeholzt, trocken, karg und rissig. Der Wind wehte vom Meer die braune Erde in die Gesichter der Pioniere. Dieser Wald ist heute die grüne Lunge, die für reichlich Sauerstoff und kühle Luft in dieser tropischen Hitze sorgt. Manche Communities zeichnen sich durch futuristische Architektur, andere durch einfache Hütten aus Holz oder einfachen mehrstöckigen Häusern. Die Communities verfolgen unterschiedliche Lebensmodelle und Schwerpunkte wie z.B. Kunstprodukte, Musik, Ökologischer Anbau etc. Jeder kann sich seine passende Community suchen und dort leben. Eigentum gibt es nicht. Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung gibt es dagegen zu Genüge. Das Sport-und Kulturangebot für die Aurovillianer und deren Kinder ist immens und kostenlos. Das beeindruckt uns sehr! Neben einem schönen Schwimmbad, in dem Eltern beim Babyschwimmen ihre Kleinsten ans Wasser gewöhnen, befinden sich Tennisplätze und ein überdachter Basketballplatz.
Auroville ist kein Ponyhof, kein Bildungsurlaub, keine Hippie-Kommune und keine Sekte. Auroville ist ein alternativer Lebensentwurf zwischen Kommunismus und Kapitalismus, zwischen internationaler Gemeinschaft und Individualität. Ohne Bürgermeister, Politiker, Autoritäten und Religion leben hier fast 3000 Aurovillianer in einer spirituellen und ökologisch-bewussten Gemeinschaft.
Auroville – ein Raum zum Experimentieren
Dass Auroville ein guter Ort zum Leben ist, ist uns nach den ersten Tagen bereits deutlich geworden. Ohne Polizei und Kriminalität, ohne Neid und Konkurrenz lebt man hier friedlich zusammen. Allein das kostenlose Kultur-und Sportangebot, das gesunde und frische Essen aus ökologischen Anbau, die E-Bike und E-Busse, die kostenlosen Kindergärten und Schulen, die Idee der Nachhaltigkeit usw. machen das Leben hier lebenswert. Die experimentierfreudigen Aurovillianer entwickeln alternative Energien (Biogas-, Solar- und Windenergie) und Ideen für ein nachhaltiges Leben. Sie betreiben ihre Landwirtschaft ökologisch. Sie backen Pizza oder Kuchen, stellen Mozzarella und anderen Käse her. Die Produkte, die in Auroville produziert werden, können nicht nur in Auroville, sondern auch in den umliegenden Supermärkten gekauft werden. Eingekauft wird hier übrigens unverpackt. Ganz modern und selbstverständlich! Jeder bringt sich für das Gemeinwohl mit ein, ganz im Sinne der Gründer.
Aurovillianer können ohne einengende Normen und Verbote ihre vielfältigen kreativen Fähigkeiten überall einbringen. Vieles ist möglich … einfach mal anfangen! Auroville ist ein Projekt, in dem ständig Neues ausprobiert wird, ein Prozess, dessen Ende offen ist. Dazu gehören Fehler, Scheitern, Frustrationen und Neubeginn. Diese positiven Fehlerkultur, an der es in Deutschland mangelt, ist der Motor für Fortschritt und Kreativität. Auroville wird auch als Stadt der Zukunft bezeichnet, als Vision einer neuen Welt, in der neue Lebenskonzepte erforscht und erprobt werden. Besuchergruppen aus der ganzen Welt, Studenten der Architektur, der Agrarwissenschaft, der Pädagogik usw. besuchen und lernen in Auroville.
Viele, wie beispielsweise unser Guide, nehmen in Chennai ein Studium auf und kehren anschließend wieder zurück nach Auroville, um hier zu arbeiten. Ein Leben außerhalb von Auroville scheint unvorstellbar. Apropos Arbeit… in Auroville arbeitet man maximal 5-6 Stunden pro Tag. Was jeder arbeitet, mit welchen Ressourcen er sich einbringt, entscheidet jeder Aurovillianer für sich. Jeder erhält ein Grundeinkommen von ca. 150€, wovon er die Hälfte in Auroville ausgeben muss. Eigentum und Besitz gibt es nicht. Wenn jemand hier ein Haus gebaut und viel Geld investiert hat, hat er zwar ein Wohnrecht, aber kein Eigentum. Manche der selbstständigen Aurovillianer, die beispielsweise Restaurants, Geschäfte, Gästehäuser betreiben, müssen 30% ihrer Einnahmen abgeben. Die Idee eines geldlosen Systems konnte noch nicht in Gänze umgesetzt werden, da Dienstleistungen von außen notwendig sind. Geld kommt schon alleine dadurch in Umlauf, dass jeder Novize sich hier selbst finanzieren muss.
Matrimandir – das spirituelle Zentrum
Unser Guide, Mister B aus Amerika, der eigentlich Bill heißt, aber das „ill“ irgendwann gestrichen hat, zeigt uns das spirituelle Herz Aurovilles, das Matrimandir, das Meditationszentrum, das von einem stilvoll angelegten Garten in Form einer Galaxie umringt ist. Wiesen, Wege, Beete, Büsche und Wasserläufe sind geometrisch angeordnet. Der Prozess muss Jahrzehnte gedauert haben. Diese goldene Kugel löst unterschiedliche Assoziationen aus … wie ein UFO… wie ein goldenes Ei… thront sie etwas erhoben über diesen grünen Garten.
Matrimandir – das spirituelle Zentrum von Auroville
Im Inneren erfahren wir mit weißen Socken bestückt, welche Ideen Mira Alfassa mit dem Bau dieser Kuppel umsetzen wollte. Wir wandeln einen spiralförmigen Weg nach oben. Ganz still und leise schreiten wir in dieser Menschenkette andächtig nach oben mit Blick auf den Lichtstrahl aus der Decke, der schnurgerade abwärts strahlt. Oben angekommen wird es kühler. Wir betreten etwas aufgeregt den weißen Meditationsraum. Wir staunen, wie groß und rund er ist. Alles ist weiß, selbst die Meditationskissen auf dem Boden. In der Mitte fesselt eine Glaskugel, die auf einem goldenen Ständer ruht, direkt unsere Aufmerksamkeit, denn das Sonnenlicht, das durch drei Spiegel gebündelt wird, durchdringt aus einer Öffnung in der Decke wie ein Laserstrahl die Glaskugel. Leise nehmen alle nach und nach Platz und versinken in Meditation. Mit Blick auf die durchsichtige Kristallkugel, in der sich das Sonnenlicht und die Wolken von oben spiegeln, meditieren wir ca. 20 Minuten. Wir fühlen uns so klein, angesichts dieses Universums um uns. Dieser weiße runde Raum mit einem Kreis aus zwölf weißen Säulen, die einfach so in die Luft ragen ohne etwas zu tragen, berührt und bewegt. Keine Frage.
Ein plötzlich auftauchender greller Lichtstrahl, das Zeichen für das Ende der Mediation. Schweigend stehen alle auf und laufen die Spirale wieder andächtig hinunter. Draußen in der Sonne sehen wir, dass das Matrimandir von zwölf Meditiationsräumen umgeben ist, die wie Blütenblätter die Kugel umschließen. Diese runden Räume dienen ebenso der Meditation. Hinter dem Matrimandir in dem Amphitheater, in dem vor einigen Wochen die große Feier zum 50jährigen Jubiläum stattgefunden hat, befindet sich die steinerne Lotusblume, in dessen Inneren haben die ersten Pioniere eine Handvoll Erde aus über 120 Ländern gestreut. In dem Park befindet sich ein riesiger uralter Banyanbaum mit Luftwurzeln, die ihn in der Breite tragen. Ein einziger dicker Stamm und viele Dünnere bilden ein kleines Wäldchen. Wie lange Arme bilden sie eine Art Schirm. Die Äste bilden, wenn sie immer länger werden, diese Luftwurzeln und bilden dadurch eine neuen Stamm. Ein wunderbarer schattiger Platz in diesem Garten. Dieser Baum dient unter anderem als Metapher für die Lehren der Begründer.
Aurovilles Kindergärten, Schulen und weitere Projekte
Selbstverständlich möchte ich als Berufsschullehrerin, die ErzieherInnen ausbildet, auch einen Kindergarten besuchen. Das dies den Rahmen hier sprengen würde, habe ich meine Erlebnisse dort in einem separaten Blogpost neben einigen weiteren nachhaltigen Projekten in Auroville niedergeschrieben. Ihr findet den Beitrag hier …
Auroville – ein Fazit
Das Ziel, dass der Mensch in Harmonie und Einklang mit sich selbst und der Natur lebt, fasziniert uns selbstverständlich. Wer wünscht sich das nicht? Auroville ist ein Zentrum für Innovatoren und Veränderer, die an einem kollektiven Klima positiver Entwicklung und Fortschritt interessiert sind, insbesondere in den Bereichen nachhaltiges Leben und umweltfreundliche Praktiken. Ob Auroville als Wegbereiter und Vorbild auf die große Welt draußen einwirken kann?
Acht Tage reichen wahrlich nicht aus, um tiefer in Auroville einzutauchen. Beim nächsten Mal würden wir eher in einem Guesthouse in Auroville wohnen wollen, um einfach mehr an den kulturellen Angeboten teilhaben zu können. Da es im März schon sehr heiß und feucht ist, würde ich lieber früher hierher kommen. Ich wünsche mir, dass unsere Städte für alle Bewohner und Kinder kulturelle Veranstaltungen, Sportangebote und den öffentlichen Nahverkehr kostenfrei zur Verfügung stellen. Wie? Ganz einfach… die Reichen höher besteuern!
Was haben wir sonst so gemacht?
Rolf und ich wollen mal das Meer von Nahem sehen. Die rauhen Wellen und die vielen Fischerboote, in welchen die Inder stehend über das Wasser treiben, haben wir von unserer Terrasse beobachten können. Also folgen wir dem Weg zum Strand, der rechts und links voller Müll ist. Doch was ist das? Wir trauen unseren Augen nicht. Keine Touristen, dafür Fischerboote. Keine Liegen oder Schirme, dafür Müll und Bauschutt. Der Strand in Tamil Nadu gehört gehört eindeutig den Tamilen, deren Haut extrem schwarz ist. Mangels Toiletten zieht sich der Inder schnell den Dhoti hoch und flupps verschwindet die Kacka im Meer, mit der Hand noch schnell nachgewischt und fertig. Abends und morgens ist hier High Season. An anderen Stellen riecht es nach altem Fisch oder Müllresten. Überall sehen wir vom Meer zerstörte Häuser und Mauern. Einige haben ihre komplette Lebensgrundlagen verloren. Die Inder erklären, dass durch den Bau des Hafens in Pondicherry jedes Jahr die Wellen näher an Ufer kommen und Sand abgraben. Dabei ist ihre Zerstörungskraft so groß, dass sie ganze Häuser mitreißen. Entsprechend sieht es aus wie auf einer Baustelle. Unser Spaziergang ist schnell beendet. So ist es eben. Für die Tamilen hat der Strand keinen touristischen Wert. Für sie hat er andere Funktionen.
Die Zerstörungen sind schon gewaltig
Da es in unserem Resort kein Restaurant gibt, werden wir Stammkunde der Pizzeria Tanto, die einfach die besten und knusprigsten Pizzas hinzaubert. Das beste ist, sie liefern auch noch. Zur Krönung des Abends geht nur noch ein Tatort und ein Bier. Leichter gesagt als getan. Mit Rolf fahre ich sogar über 10 km bis nach Pondicherry, um in einem Alkoholshop einen Vorrat an Gerstensaft zu ergattern. Mit schweren Rucksäcken geht’s zurück. Und der Tatort? Das ruckelige Wifi bewirkt Pausen und Wiederholungen. Was soll’s. Hauptsache, wie zu Hause, zumal mit Schwester und Schwager. Einfach gemütlich! Manchmal braucht man das als Langzeitreisende.
Tatort gucken …
Selbstverständlich steht Pondicherry auch am letzten Abend auf unserem Programm. Zusammengequetscht in einem Tuktuk düsen wir zu viert ins 10 km entfernte französisch geprägte Städtchen. Ganz anders sehen die Häuser und Straßen hier aus. Irgendwie ordentlicher, schöner angestrichen, wobei mir die grau-weißen Häuser nicht so zusagen. Auf der Strandpromenade zu flanieren, ist hier Pflichtprogramm. Liebespaare auf Bänken, Familien mit Kindern und viele Franzosen schlendern hier entlang. Die Hotels und Restaurants wirken mondän und wie aus einem anderem Film. So chic! Am Ghandi-Denkmal vorbei entdecken wir Kunstwerke. Hier sind Porträts von berühmten Menschen auf geflochtenen Palmblättern gemalt. In einem französisch gestyltem Restaurant essen wir draußen im Garten. Wie üblich, schwitzen wir und bitten darum, den Ventilator – auch draußen – anzustellen. Sogar kaltes Bier wird uns serviert.
Am nächsten Tag geht es zurück nach Chennai, um von dort zu unserer letzten Station in Indien, Goa, weiter zu reisen …
Es zwitschert. Nach der regnerischen Nacht taucht die Morgensonne unser Viertel in milchiges Licht. Die weitläufige Wohnung offenbart nun doch eine gewisse Freundlichkeit.
Bei der Ankunft im Dunkeln am gestrigen Abend empfand ich unser neues Domizil für die nächsten 7 Tage zunächst als bedrückend mit seinen matten Farben und Formen. Relikte erstarrten künstlerischen Lebens. Vielleicht war es auch der Müdigkeit und Erschöpfung geschuldet.
Überall Bilder und Stoffe aus einer Epoche der 60er. Schon an der Haustür empfing uns ein Plakat des 23. Filmfestivals von Kalkutta von November 2018, in das die Besitzer dieses Hauses oder der Wohnung involviert zu sein scheinen. Die Möbel dunkel und spartanisch, verlieren sich in den riesigen Räumen, an deren Decken 10 alte vergilbte Ventilatoren dafür sorgen, dass sich die Schwüle besser verteilt. Noch sind sie aus, denn perfekte 22°C sind das angenehme Nebenprodukt einer großzügigen Regenfront.
Kalkutta ist nach Delhi, die zweite Station des 5wöchigen Urlaubs und beide Städte sind für mich Neuland. Neuland ist auch Saskia, die ich schon 2 Monate nicht sah, was in dem kurzen Leben eines Mannes mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 78 Jahren (EU-Bürger) schon eine messbare Größe in einer farbigen Zeitstrahlgrafik wäre.
Aber den zeitweiligen Verlust glich das elektrisierend wuchtige Wiedersehen vor dem Delhi-Terminal einige Nächte zuvor mehr als aus. Die letzten Twittereien vor meiner Kontinentenüberquerung widmeten sich überwiegend der Frage, ob der indische Verhaltenscode, eine heftige Umarmung oder gar weltvergessene Küsse zulässt. Tut er nicht oder nur um den Preis größer öffentlicher Aufmerksamkeit und möglicher polizeilicher Ermahnungen. Extase inside please!
Glück kann sich dermaßen verdichten, genau wie Geschichte in Momenten von Revolutionen, Atombombenabwürfen, Staatsstreichen oder um noch was geschichtliches Schönes anzuführen, das plötzliche Ende von Diktaturen oder dem Auftauchen von Grete Thunberg.
Auch die Hauptstadt selbst war aufregend mit ihrer Mischung aus Moderne, bäuerlichem Mittelalter und Vorindustrialisierung, verzweifelter schmutzigster Armut, selbstzufriedenem mittelständischem Wohlstand und arroganter Abgehobenheit der Eliten. Der Duft, die quirlige Geschäftigkeit in jeder Pore des Molochs Delhi, bei der selbst das „h“ steht, wo man es nicht vermutet.
3 Tage später. Der Anflug auf die nasse Metropole Kalkutta war aufregend. Im sattgrünen Umland schien alles unter Wasser zu stehen. Die Wolken verdichteten sich zu einer dunklen schwarzen Wand
Der Flieger trudelt durch das Inferno, wird hin und her geworfen. Um uns herum grauschwarzes Dunkel. Die Ohren melden unheimliche dumpfe Stille. Wir verlieren geplant an Höhe und setzen trotz der Böen erstaunlich elegant nahe am Terminal auf.
Der erwartete und nun entfesselte Regensturm treibt die Wassermassen über das in schwarzes Theaterlicht getauchte Flugfeld. Dazwischen Blitze. Wir stehen in unserer warmen Delhi-Februar-Kleidung auf der indigofarbenen Gangway in feuchter Schwüle und warten auf den Transfer-Bus. Eine kurze Fahrt. Wir sind am freundlichen Terminal, ein kurzer Weg und das Gebäckband 3, es wurde im Flieger schon vorausschauend wie immer als unser nächstes Ziel genannt, ließ alle Koffer der bunten Reisegesellschaft des Fluges W 233 vor unseren Augen karussellieren.
Vor dem Gebäude das übliche Airport-Gewimmel aus Fahrgäste suchenden Taxisten, Hotelboten, Freundinnen und Angehörigen der Ankommenden. So schnell wie das Unwetter gekommen war, überließ es den nassen Flughafen nun der warmen Nachmittagssonne für kurze Zeit. Saskia organisierte ein Prepaid-Taxi.
Der ärmlich wirkende junge Fahrer lud unsere 3 Gepäckstücke in den rostigen Kofferraum des alten gelben Taxis aus der Kolonialzeit. Er ließ sich telefonisch von unserer Vermieterin kurz den Weg auf die andere Seite der 20 Millionen Metropole beschreiben und fuhr los.
Ich fragte mich derweil, warum wir immer die kühnsten Draufgänger mit den klapprigsten Fahrzeugen bekommen. Er entschied klar jedes Rennen in dem chaotischen Gewühl aus Blech und Menschen in der kommenden spannenden Stunde für sich, bog unvermittelt von den Hauptverkehrsadern ab, raste durch enge unübersichtliche Shortcuts, um sich in der nächsten Avenida sofort wieder zu erobern, als wenn wir zur Entbindung müssten.
Wir fühlten uns angstfrei und gut aufgehoben, da alle Sinne des Profis am Steuer konzentriert zusammenarbeiten, er zielstrebige Ruhe verströmt und das dicke Blech aus des alten englischen Taxis, herkömmlichen Knautschzonen überlegen scheint.
Der Regen hatte wieder eingesetzt, die Dunkelheit auch. Der kleine Scheibenwischer arbeitete hektisch auf der gesprungenen Frontscheibe. Angenehm kühl tropfte es mir aus dem Motorraum auf die Thrombosestrümpfe, die samt Füßen in Trekkingsandalen steckten. Ein echter Anblick.
Wir durchquerten eine Stunde lang diese grüne Oase. 2-5stöckige verwohnte und vom Monsun eingegraute, vermooste Wohnhäuser, mit praller Geschäftigkeit im Erdgeschoss und in unzählbaren Läden mit Anbietern aller erdenkbaren Dienstleistungen und Waren.
Irgendwie, wie ein unendliches Ehrenfeld, nach dem Zusammenbruch der Kölner Stadtverwaltung und einer unfähigen Politik, die vor den Anforderungen der Zeit und der periodischen Feuchtigkeit kapituliert und den Menschen der Stadt die Initiative überlassen hat. Außer Moosgrün, grau und schwarz sind alle Wandfarben ausgegangen. Aber sonst gibt es alles und irgendwie geht es immer weiter.
Alles von Menschen zusammengemauert und Gezimmerte lebt in harmonischer Symbiose mit einer üppigen tropischen Flora und wehrt sich schon im Entstehen nicht gegen seine fortwährende Zersetzung durch Moose, Schimmelpilze, Autoabgase und den allgemeinen Schlendrian.
Manchmal erhebt sich die Straße über die Unendlichkeit aus Bäumen und Häusern und überquert Bahngleise oder andere Verkehrsachsen.
Uns erstaunt eine kollektive Anstrengung aller Fahrerinnen und Fahrer um die Stadtluft Kalkuttas zu verbessern. Sie schalten bei jeder Ampel und jedem Halt den Motor ihrer Fahrzeuge aus, sofern es nicht automatisch geschieht. Für mich eine bewegende Initiative in diesem 20 Millionendorf.
Eine weitere bewegende Beobachtung ist die Liebe zum Grün und die Fürsorge für Vögel und Hunde. Wo ein Pflänzchen wächst, wird es gehegt, selbst wenn es dann 30 Meter Höhe erreicht. Überall auf den Bürgersteigen sprießen Bäume aus den zerberstenden Steinfließen und zwingen die Bewohner auf die Fahrbahn. Häuser werden um Bäumer herum gebaut und in den Dächern werden Öffnungen für die Stämme gelassen.
Noch ganz gefangen im großen Staunen, biegen wir plötzlich an einer kleinen Filiale der Syndikat-Bank in ein bürgerlich wirkendes Viertel ein und stehen 2 Minuten später vor unserem jetzigen Zuhause.
Im Parterre befindet sich ein Paketversand, in dem sich zahlreiche in weiße Säcke eingenähte Warensendungen zu Haufen kuschelig zusammengefunden haben. Eine ausschließlich Hindi sprechende kleine freundlich aber energische Dame ruft aus dem 1.Stock, dass wir hinauf kommen sollen. Unser junger Fahrer hilft uns mit dem Gepäck und wir „checken“ ein.
„Und wenn dat Trömmelsche jeht, dann stonn ma all parat…“ werden am Alter Markt, die ersten Jecken aus heiseren Kehlen dem schlafenden Kölle zujesungen haben, als wir uns gegen 9 Uhr von unserem harten Lager erheben. Der indische Mensch liebt es hart im Bett, warum auch immer. 180 Quadratmeterwohnung, 10 Ventilatoren, 2,50 Meter breite Matratze, aber hart soll sie sein, wie ein Brett mit Decke drauf.
Am Vorabend sind wir auf der Suche nach etwas Essbarem im 4. Stock einer Shopping-Mall gelandet, die wie ein steriler glitzernder Fremdkörper aus dem natürlich gewachsenen grünen Viertel ragte.
Zuvor suchten wir in der Umgebung unseres Stadtteils ein kleines Restaurant. Aber wir fanden keins, nur unzählige Essensstände mit Street-Food. Als wir sahen, dass jemand den Topf in einer Pfütze spülte, fühlten wir uns dafür noch nicht bereit und entschieden uns für die Mall.
Unerwartet lecker und nicht überteuert wurden neben Kentucky Fried Chickens knusprigen Hühnerleichenteilen auch landesübliche Gerichte wie Birjani, eine würzige Reisspeise mit Nelken, Kardamonkapseln und Sternanis und Dal das überall präsente Linsengericht, angeboten und zum ersten Mal in my live probierte ich, im Gegensatz zu den meist geschmacklosen Eiweißwürfeln aus Sojabohnen, erstaunlich leckeren Tofu. Er hatte die Form und Konsistenz von Mozzarella und ihm fehlte die typische Tofu-Penetranz.
Im Keller fanden wir einen Supermarkt mit der größten Personaldichte auf dem Subkontinent. Dutzende junge Verkäufer standen ohne wirkliche Aufgabe zwischen den Regalen des Selfservicebetriebs, griffen wahllos in die Regale und Tiefkühltruhen, nahmen gefrorenen Tintenfisch, eingepackte Tomaten oder Ketchup und priesen es uns an. Für uns, aus einer Rewe- und Aldi-Welt Kommenden eine neue Erfahrung.
Saskia war nach 8 Wochen des Verzehrs der Nr.128, Vegetable Curry nach königlicher Art, heiß darauf, mal wieder Pellkartoffel mit Quark oder Spagetti Olio-Aglio zu probieren und so waren wir glücklich nach einer Weile mit den erforderlichen Zutaten den Laden zu verlassen, nicht ohne dass ein Wachtposten nochmal überprüfte, dass wir nur die 5 Teile im Beutelchen hatten, die auch auf der Rechnung standen.
Gegen 11 Uhr am heutigen Morgen, der Alter Markt müsste sich schon mit Frohsinn gefüllt haben, nahmen wir ein Taxi zum Office der Jet Airways in der 7 km entfernten Park Street.
Die Airline hatte uns am Dienstagabend um 19 Uhr, als wir grade mit der Kleider- und Schmuckhändlerin Lori aus Dunkerque am nordfanzösichen Atlantik in einem Rooftop-Restaurant Vegetable Curry aßen, über eine SMS den Kalkutta-Flug für den nächsten Nachmittag gecancelt und uns eine 2tägige Indienrundreise über Mumbai als Alternative angeboten, die dann auch letztlich in Kalkutta enden würde, die allerdings schon in 11 Stunden am nächsten Morgen um 6 beginnen sollte. Als Hintergrund wurden Sperrungen des Luftraums wegen der Bombardierung von Separatisten in Kashmir, aber auch die finanzielle Schieflage von Jet Airways genannt.
Wir buchten spontan bei der Indigo- Airline um so ohne Rundreise in 1 Stunde und 40 Minuten zu einer menschlichen Nachmittagszeit ins nahe Kalkutta zu gelangen. Nun versuchten wir von Jet Airways den Ticketpreis zurückzubekommen. Vielleicht mit Erfolg, wie sich noch herausstellen muss.
„Kalkutta liegt am Ganges, Paris liegt an der Seine…..“ dudelt Vico Torriani aus Rolf‘s JBL-Box. In der Nacht sind Eve und Rolf unsere medientechnisch hochgerüsteten Weltreisenden mit einem Tag Verspätung angekommen und haben nun unsere Möglichkeiten der Orientierung, Zielfindung, Musik- und Filmverfügbarkeit und des Infozugriffs enorm ausgeweitet.
Die Wiedersehensfreude mit den beiden war riesig und wir erzählten bis in den frühen Morgen. Erstaunlich war aber auch die Tatsache, wie schnell es uns so normal vorkam, dass sie wieder da sind.
Nun sitzen wir also auf der kleinen andalusisch-blumenbestandenen Außenterrasse unter dem Mangobaum, der den Innenhof, den die benachbarten mehrstöckigen gepflegten Häuser bilden, überspannt. Wir hören italienische Schlager aus den 60ern, nachdem Saskia‘s Mutter im zuvor geführten Telefonat in die Klinik von Volmarstein, (hier gab‘s ein neues Knie) dieser Song einfiel und damit das Stichwort zu dem Torriani-Evergreen gab.
Hinter uns liegt ein anstrengender Erkundungstag. Zu Fuß von unserem Lake-Garden-Viertel zur lokalen Bahnstation, dann um den See, der dem „Lake Garden“ – Viertel den Namen gab zur einzigen Metro Kalkuttas, die die Stadt von Süden nach Norden durchkreuzt.
Eine Diskussion mit 4 Männern, welche Station am nächsten zum Hoogli-Ufer, einem Gangesarm liegt. „Mahatma Ghandi“ ist der Kompromiss, auf den sie sich einigen.
Die Metro füllt sich, umso weiter wir in den urbanen Norden kommen. Die Luft ist frisch. Viele Plätze sind für Frauen und Senioren reserviert. Wir steigen aus der U-Bahn und finden uns in absoluter Geschäftigkeit wieder, im großen Basarviertel an der Horwrah-Brücke, wie wir später herausfinden. Hier beziehen die Einzelhändler Kalkuttas ihre Waren her und so sieht es auch aus.
Verschwitzte teils ausgezehrte, teils auch kräftige Männer in kurzen Hosen oder Dotis, den auch in Tamil Nadu gern getragenen Wickelröcken, mit Kisten, Ballen und Paketen auf dem Kopf, Fahrrad-Rikschas mit eleganten Fahrgästen, aber auch vereinzelte von Menschen gezogene Rikschas ziehen an uns vorbei.
Wir wollen mehr von diesem Indien-Extrakt, drängen uns durch den Strom hupender Autos, Laster, Busse und Mopeds auf die andere Seite einer breiten Straße in eine Gasse. Überall Lastenträger in Reihe hintereinander wie Blattschneideameisen winden sich durch die menschenvollen Straßen. Dazu bahnen sich hochbepackte Fahrräder, Karren, und undefinierbare Gefährte ihren Weg. Verstaubte martialisch anmutende riesige Laster werden entladen.
Rechts und links kleine Läden mit Obst und Süßigkeiten in baufälligen 5stöckigen Häusern aus viktorianischer Zeit, die Mauern teilweise abgestützt. Eine „The Day after“-Atmosphäre oder auch eine Zeitreise ins New York, London oder Hamburg um 18hundert. Wir trinken heißen Milchtee aus Einweg-Ton-Gefäßen an einer Ecke, die am matschigen Boden ihr Ende findet.
Unendliche Lagerräume erstrecken sich wie Termitenbauten in den Erdgeschossen baufälliger mehrstöckiger Häuser aus der Kolonialzeit.
Stoffe, Früchte, undefinierbare Waren werden in großen Mengen eingelagert, um gleich wieder portioniert in den Besitz kleiner Händler zu wechseln. Der Duft von Räucherkerzen, Gewürzen, Garküchen mischt sich mit Spuren von Urin und den Abgasen der wendigen Motorräder.
Alles ist unwirklich für westliche Augen. Über mehrere 3 spurige Straßen, die auf der Howrah-Brücke zusammenfinden und den ungeduldigen Verkehr darauf zu führen versuchen, gelangen wir mit Mühe an das Flussufer.
Hier ist Ruhe. Männer in fleischfarbigen halbtransparenten Unterhosen oder hochgezogenem Wickelrock und Frauen in Saris waschen sich im schlammigen graubraunen Hoogli-Wasser. Es wird heilig sein, wie das, des Hauptstromes „Ganges“. Wir knipsen uns vor der Howrah-Brücke, die beide Kalkuttahälften verbindet.
In der gesamten Metropole scheinen sich nur sehr wenige westliche Menschen, bzw. überhaupt Touristen aufzuhalten. So fallen uns 2 chinesische ältere Paare auf, die sich sicher in diesem Ambiente in das alte China zurückversetzt fühlen und vielleicht mit der rasanten Entwicklung in ihrem Land vor Augen denken mögen, „was nützt mir die Demokratie, bzw. das Wahlrecht, wenn es dann so aussieht?“
Parallel zum Flussufer verlaufen Schienen. Der regelmäßig verkehrende Zug macht sich durch eindringliches Hupen bemerkbar und passiert diese Strecke mit großer Vorsicht im Schritttempo, um die vielen Frauen, Männer und Kinder, die die Gleise ständig bevölkern, nicht zu gefährden.
Eine Bahnstation am Fluss heißt „Garden Eden“ Hier wohnen viele Menschen direkt an den Gleisen in Verschlägen aus Pappe, Decken und Plastik. Halbnackte Kinder spielen wie selbstverständlich zwischen den Schienen, als wäre es das Bällebad eines Möbelhauses. Dieser „Garten Eden“ ist auch eine der ersten Stationen der Menschen, die vom Land vertrieben wurden und nun versuchen, hier neu anzufangen. Für manche auch die Letzte.
Wir laufen über von nicht zu verarbeitenden Eindrücken und Gefühlen, Stimmen, Geräuschen, Farben, Hupen, Düften und Undüften, von schönen Bildern und Unfassbarkeiten. Wir müssen da raus, aber das ist nicht so schnell zu machen.
Das viele Quadratkilometer umfassende urbane Zentrum der Metropole lebt in nicht gekannter mehrdimensionaler Intensität. Viele Häuser, aber auch die Bürgersteige, die Wasserrohre, die Stromkabel, die Abwasserrohre, die Verkehrsschilder scheinen im Verfall begriffen, und werden einzig durch den Willen der Millionen Menschen, sich hier tagtäglich zu behaupten versuchen, und durch das Wurzelwerk unzähliger Bäume zusammen gehalten.
Hunderttausende Zuwanderer aus dem Umland kampieren auf den Bürgersteigen im Zentrum, errichten dort Hütten in Sichtweite des Regierungssitzes, ziehen Mauern hoch, die sie mir Blech und Plastik gegen den tropischen Regen und die Sonne bedecken und versuchen sich in dieses filigrane Räderwerk einzufädeln meist durch einfachste Dienstleistungen.
In jeder Nische, in winzigen Räumchen, Eckchen, Lücken, sitzen Köche, Händler und Handwerker im Schneidersitz zwischen ihren dampfenden Töpfen, aufgerollten Stoffen, offenen Farben, sauber gestapelten Zahnrädern, sorgsam aufgetürmten Obst und Gemüse und versuchen, dem Stoffwechsel menschlichen Lebens sicherzustellen und ihm dabei ein Quäntchen abzugewinnen, das für sie und ihre Lieben für das kleine Glück reicht.
Mehrfach erinnere ich mich an die Schusterwerkstatt meines Vaters in Quettingen, die dicken Schichten getrockneten Leims auf dem Arbeitstisch, den abgegriffenen Werkzeugen, dem Klebstoff-, Staub- und Ledergeruchs, dem Chaos, hinter dem sich eine für mich nicht erfassbare höhere Ordnung verborgen haben muss, da das Ganze 30 Jahre funktionierte und ihn und uns ernährte.
Wir orten eine Art „Lommerzheim“ mit Hilfe von Google, eine Rarität in der Stadt der Garküchen, in der man in wenigen Minuten im Stehen das Essen auf dem Bürgersteig runterschlingt. Hier können wir endlich einmal sitzen. Freundliche Kellner umsorgen die Gäste in der Geschwindigkeit Kölner Brauhäuser, nur freundlicher. Wir schlagen uns den Bauch mit Biryani, gut aufgegangenem Garlic-Naan und weiteren Köstlichkeiten voll. Bier und Wein gibt es nie, in dem Land, das wie Schweden, den Alkohol in vergitterte Shops verbannt hat und nur auf Dachterrassen-Restaurants in touristischen Regionen eine Ausnahme gestattet. Ein Taxi bringt uns in unser „“ruhiges“ „Lake Garden“. Wir „crusen“ noch einige Tage durch diese besondere Stadt, lernen mit der S-Bahn auch moderne Viertel in der Peripherie kennen und dann sind die 7 Tage plötzlich um und wir müssen weiter. Auf uns wartet Chennai.
Ich bedauere sehr, dass wir uns nicht mehr Zeit für unsere prominente Gastgeberin genommen haben. Als Organisatorin bedeutender Filmfestivals, befreundet mit bekannten Schauspielern und bedeutenden Regisseuren, vielfach mit ersten Preisen ausgezeichnet, hätte sie uns direkten Zugang zum modernen kulturellen Indien erschließen können.
Vielleicht war alles auch zu viel in 7 Tagen, um zurückzutreten, durchzuatmen und das Wesentliche in den Vordergrund zu rücken.